Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
schwere Vorhänge waren bis auf einen schmalen Spalt vorgezogen, der gerade groß genug war, um einen Blick auf die Straße zuzulassen. Eine weit heruntergedrehte Petroleumlampe auf einer Kommode bildete die einzige schwache Lichtquelle. In der Mitte des Zimmers thronte eine Schlafstatt, darin befand sich eine für Anki nicht erkennbare Gestalt.
Rückwärtstaumelnd wollte sie den Raum wieder verlassen, wirbelte jedoch aufgeschreckt herum, als jemand die Tür ins Schloss drückte. Vor ihr stand Rasputin. Der große, kräftig gebaute Mann trug eine graue, in der Taille mit einem roten Seidengürtel geraffte Bauerntunika über einer weiten, schwarzen Hose. Sein verfilztes Haar stand ihm an seiner linken Kopfseite wild ab, als habe er auf dieser gelegen oder sich heftig gekratzt. Wie schon vor Jahren waren es seine Augen, die sie auf unerklärliche Weise gefangen nahmen.
Anki wandte sich ab und richtete ihren Blick auf das Bett. Eigentlich wollte sie gar nicht wissen, mit wem dieser angebliche Gottesmann sich vergnügte, aber es schien ihr einfacher, die reglose Gestalt auf dem zerwühlten Lager anzuschauen, als in die stechenden Augen des Mannes zu sehen.
»Du vertraust mir noch immer nicht?«
Anki nahm all ihren Mut zusammen und antwortete: »Nein.«
»Weshalb tust du mir das an?«
»Ich sehe keine Veranlassung, Ihnen Vertrauen entgegenzubringen.«
»Aber mir zu misstrauen?«
»Hunderte.«
Anki blinzelte irritiert, so erstaunt war sie über ihre eigenen Worte. Vielleicht war es von Vorteil, höflicher zu antworten, immerhin erhoffte sie sich von dem Starez eine Auskunft. Aber der in fast vollständige Dunkelheit gehüllte Raum und vor allem dieser Mann zwischen ihr und der Tür stimmten sie kämpferisch.
»Du musst dich frei machen von den Zwängen. Sie halten dich davon ab, dich ganz Gott hinzugeben.«
Wie auch bei ihrem letzten unangenehmen Zusammentreffen brachte der so schrecklich unzivilisiert und lüstern wirkende Mensch die Sprache auf Gott. Anki glaubte an Gott und wollte diesen Glauben nicht durch einen entarteten Mönch beschmutzen lassen.
»Ich bin gekommen, weil ich Sie etwas fragen möchte, Grigori Jefimowitsch.«
»So frage! Aber ich ahne, dass die Antwort dir keine Befriedigung bringen wird. Dein Geist wird weiterhin suchend bleiben und dein Körper nicht die Erfüllung erlangen, die Gott dir durch mich schenken möchte.«
Ankis Augen suchten den Raum nach einem Gegenstand ab, der sich als Waffe eignete. Der Holzboden knarrte. Rasputin bewegte sich. Seine Gestalt verdeckte die ohnehin nur glimmende Lampe. Fast vollkommene Dunkelheit umgab Anki. Sie schien mit kalten Händen nach ihrem Herz zu greifen, das sich heftig klopfend zur Wehr setzte. Plötzlich kehrte der schwache Lichtschein zurück und fiel auf ihr Gesicht. In diesem Moment durchschaute Anki Rasputins Vorhaben. Er wollte ihr wieder in die Augen sehen, wollte sie manipulieren. Ob ihm dies allein über seine merkwürdigen, Angst einflößenden Augen gelang? Hielt er so die ihm erlegenen Frauen und auch Männer in seinem Bann?
»Vielleicht, aber nur vielleicht, habe ich mich dieses eine Mal geirrt.« Seine Stimme klang nicht so, als meine er seine Aussage ernst. Sie verstand den Sinn hinter seinen Worten sowieso nicht, und sie fragte sich, ob er den Bezug zur Realität verlor, zumal er neben den unangenehmen Ausdünstungen seines Körpers erneut Alkoholgeruch verströmte. »Womöglich bist nicht du diejenige, die von dem Dunklen, Bösen umgeben ist, sondern Ludatschka!«
Ruckartig hob Anki den Kopf. Bereits vor sechs Jahren hatte er ihr mit seinen ominösen Vermutungen, sie sei von etwas Dunklem umgeben, Angst eingeflößt.
Der orangefarbene Schein der Lampe erhellte von unten sein Gesicht, was ihn noch unheimlicher, fast diabolisch wirken ließ.
»Wo ist Ljudmila?«, wagte sie zu fragen.
Der Starez hob die Hand, als wolle er sie davor warnen, weiter nach ihrer Freundin zu forschen. »Dir wird es schlimm ergehen, weil du das Böse gut und das Gute böse nennst. Verstehst du nicht, kleine, wunderschöne Anki? Ich bin nicht der, für den du mich hältst, für den die anderen da draußen mich halten. Sie planen, der Mama und dem Papa von Russland Schaden zuzufügen.« Wieder sprach er in dieser respektlosen Form von dem Zaren und der Zariza. »Dein Herz ist fehlgeleitet worden. Du siehst das Dunkle hell und das Helle dunkel, das Bittere süß und das Süße bitter, weil sie dich verblendet haben. Ich bin derjenige, der dir einen
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