Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Selo vorzubereiten.«
»Ich will mich noch von Anki verabschieden, Mutter.«
»Ja, richtig. Das deutsche Fräulein.«
Ljudmila erhob sich und trat zu Anki unter den Sommerfliederbusch. »Entschuldige bitte. Ich hoffe, ich bringe dich jetzt nicht in Verlegenheit. Aber deine Idee, meiner Mutter eine Weile zu entkommen, war zu verlockend. Sie wird mich nur in Daunen packen, und ich zerbreche dennoch. Du tust mir gut.«
»Ist schon gut«, beschwichtigte Anki. »Fürstin Chabenski hat ein gutes Herz. Sie war außer sich, als sie von deinem und Jevgenia Ivanownas Verschwinden erfuhr, und sie ist in großer Sorge um deine Gesundheit. Bestimmt freut sie sich über deine Genesung und nimmt meinen Vorschlag gern auf, dir das bessere Klima auf dem Land zugutekommen zu lassen.«
»Ich freue mich so.«
Anki suchte in Ljudmilas Gesicht ein Zeichen dafür, ob ihre Worte wirklich das ausdrückten, was sie empfand. Aber sie forschte vergebens nach einem Lächeln oder dem früher so unternehmungslustigen Aufblitzen in den grünen Augen.
»Ich lasse dir eine Nachricht zukommen«, versprach sie und wartete, bis Ljdumila und ihre Mutter im Haus verschwunden waren. Unter einigen Mühen brach sie einen Zweig mit mehreren weißen Fliederblüten ab, bevor sie zum Tor spazierte. Von dort trat sie auf die Straße, die zum Nevskij Prospekt führte.
Der Weg zur Mojka war weit, aber Anki war nicht in Eile. Fürstin Chabenski hatte ihr den gesamten Nachmittag und Abend freigegeben, damit sie sich um ihre kranke Freundin kümmern konnte.
Sie hatte erst ein paar Meter zurückgelegt, als hinter ihr schnelle Schritte erklangen. In der Annahme, einer der Bediensteten laufe ihr nach, da sie noch eine Nachricht an die Fürstin überbringen sollte, wandte sie sich um.
Zu ihrem Erstaunen stand sie Robert gegenüber. Er lächelte fröhlich, zog den Canotier und verbeugte sich galant. »Fräulein van Campen, wie schön, Sie zu treffen. Guten Tag.«
Anki benötigte einen Moment, bevor sie von der russischen auf die deutsche Sprache umschalten konnte, erwiderte dann aber seinen Gruß.
»Darf ich Sie begleiten?«, fragte er und deutete mit der Hand die Straße hinab.
»Gern, sofern Sie in die gleiche Richtung möchten.«
»Die Richtung, in die Sie gehen, erscheint mir als die richtige.«
Anki lachte leise und setzte ihren Weg fort, dabei streifte der Zweig über Roberts Jackett. »Entschuldigen Sie bitte«, beeilte sie sich zu sagen.
»Meine Schuld. Ich müsste eigentlich wissen, dass man einer Dame, die einen Baum durch die Straßen trägt, nicht zu nahe kommen darf.«
Erneut lachte Anki fröhlich auf. In ihrem Inneren schienen sich die Fesseln zu lösen, die seit dem Verschwinden der beiden Adelstöchter ihr Herz umschlungen hatten. Ljudmila würde es sicher bald bessergehen. Deshalb gestattete sie es sich, die heitere Aufmerksamkeit des charmanten Mannes in ihrer Begleitung zu genießen.
»Wäre ich dazu in der Lage, würde ich tatsächlich den ganzen Baum mitnehmen«, erklärte sie ihm. »Die Chabenskis haben bei ihrem Stadthaus keinen Garten, und ich finde diesen weißen Sommerflieder wunderschön.«
Robert blickte auf die Blüten und wieder zurück zu ihrem Gesicht. Obwohl sie das Gefühl hegte, er wolle etwas sagen, schwieg er. Allerdings jagte die Intensität seines Blickes ihr einen aufregenden, warmen Schauer über den Rücken. Für einen Augenblick schien die Welt stillzustehen. Dann wandte Robert sich ab, und sie schritten in einem Schweigen, das sie keineswegs als unangenehm empfand, nebeneinanderher in Richtung Admiralität.
Entlang des Gostinyj Dvor mussten sie sich zwischen den dort wartenden Droschken, Landauern und Wankas, den kleinen Kutschen des Personals, hindurchzwängen. Unbehaglich sah Anki sich um. Ihr missfiel das Gefühl, zwischen all diesen Fahrzeugen eingesperrt zu sein wie die Vögel in Ljudmilas Voliere. Sie raubten ihr den Überblick und als Folge davon auch ein bisschen den Atem. Um der Enge zu entkommen, drückte sie sich eilig an den zwei letzten dicht nebeneinanderstehenden Kutschen vorbei. Endlich erreichten sie die Dumskaja Straße.
Mit aufheulendem Motor schoss ein dunkelgrünes Automobil direkt auf sie zu. Der Fahrer, entweder unaufmerksam oder von der Sonne geblendet, wollte ohne abzubremsen den Nevskij Prospekt überqueren. Ein Landauer rollte ihm in den Weg. Geistesgegenwärtig riss der Kutscher seine Pferde herum, um diese vor dem Zusammenprall mit dem motorisierten Fahrzeug zu bewahren. Die
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