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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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Bett, sprach kaum mit jemandem und aß nur zaghaft. Die offizielle Version von Ljudmilas Zustand lautete, dass sie »schwer erkrankt« sei.
    Anki wurde nun endlich Zutritt zum Haus der Zoraws gewährt. Sie war darüber informiert worden, dass ihre Freundin in jener Nacht Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Allerdings ließ sich nicht rekonstruieren, ob dieser gegen oder mit Ljudmilas Willen stattgefunden hatte. Anki vermutete, dass die Komtess in diesen Stunden überhaupt nicht in der Verfassung gewesen war, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Außerdem erinnerte sie sich an Roberts Verdacht, dass ein Betäubungsmittel im Spiel gewesen sei. Zudem kannte sie Rasputins Begabung, Menschen allein durch seinen durchdringenden Blick in seinen Bann zu ziehen und ihnen förmlich den eigenen Willen aus dem Leib zu saugen.
    Der Starez wurde ihr immer unheimlicher. Sie wusste von Ljudmila, die ein Hofdamenamt bei den älteren Zarentöchtern ausübte, von den Spontanheilungen des erkrankten Zarewitsch, nachdem Rasputin in dessen Krankenzimmer gewesen war. Diese Begebenheit verwirrte sie umso mehr, als dass sie sich einerseits für die Zarenfamilie freute, andererseits die Macht nicht verstehen konnte, die von diesem ungehobelten Bauern aus dem Gouvernement Tobolsk ausging. Ihr war jeglicher Glaube daran, dass Rasputin ein Mann Gottes sei, abhandengekommen. Und hatten nicht schon zu Zeiten Moses die Zauberer des Pharao ebenfalls Unerklärliches getan? Wie viel Kraft lag in einer bösen Macht, die ihre Hände nach den Menschen ausstreckte und die gemeinhin als der Durcheinanderbringer oder als Teufel bezeichnet wurde? Kam sie nicht allzu gern in harmloser Verkleidung daher?
    Anki schrak aus ihren düsteren Überlegungen auf, als Ljudmila sich in ihrem mit weißem Damast überzogenen Bett bewegte. Sie legte das kyrillische Lehrbuch, in dem sie ohnehin nicht gelesen hatte, beiseite und beugte sich über das blasse, eingefallene Gesicht ihrer Freundin.
    »Bist du das, Anki?«
    »Ich bin da, Ludatschka.«
    »Mir ist kalt.«
    »Du bist bereits mit unzähligen Decken zugedeckt. Ich fürchte, wenn ich noch eine auf dich lege, wirst du erdrückt.«
    »Ich will über die Brücke gehen, aber ich darf nicht.«
    »Bitte?« Anki blinzelte irritiert. »Von welcher Brücke sprichst du?«
    »Als ich noch bei ihm war, träumte ich von einer Brücke. Ich wollte hinübergehen, aber ich konnte es nicht. Vergangene Nacht sah ich die Brücke erneut.«
    In Anki wuchs die Angst um ihre Freundin. Hitzewellen jagten durch ihren Körper. Wünschte Ljudmila ihren Tod herbei? Aufgewühlt erhob sich das Kindermädchen und trat an eines der vier Fenster. Durch die zugezogenen weinroten Vorhänge fiel nur gedämpftes Licht in den Raum.
    »Die einzige Brücke, über die du gehen wirst, ist die über den Fontanka-Kanal, wenn wir einen deiner heiß geliebten Einkaufsbummel unternehmen.« Anki griff in die Vorhänge und zog sie energisch zurück. »Sieh nur, wie schön die Sonne scheint«, rief Anki mit mehr Enthusiasmus, als sie empfand. Sie eilte an das nächste Fenster und zog auch dort die Stoffbahnen mit viel Schwung auseinander. Mit Freude sah sie, wie die warmen Farben in Ljudmilas exquisit eingerichtetes Gemach zurückkehrten. Dieser Raum bestach, anders als die gold- und stucküberladenen Räume vieler Paläste, durch seine herrliche Schlichtheit. Nur der Übergang zwischen den Wänden und der Decke war durch fragiles Stuckwerk geschmückt und oberhalb der Fenster zeigten sich ebenfalls sanft geschwungene Stuckbänder.
    »Du hast ein wunderschönes Zimmer, Ludatschka«, sagte Anki.
    »Findest du?«
    Sie drehte sich nicht um, obwohl sie hörte, dass Ljudmila sich aufrichtete. Als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, öffnete sie die Tür von Ljudmilas begehbarem Kleiderschrank und betrat ihn. »Meine Güte! Diese vielen Kleider, Schuhe und Hüte wirst du dein Leben lang nicht auftragen können.« Fast erschrocken blickte sie auf Ballroben, deren erlesenen Stoffe, die Spitze und die eingearbeiteten Edelsteine allein viele Tausend Rubel gekostet haben mussten.
    »Ludatschka, ich wünschte, ich dürfte dich einmal in einer dieser Roben tanzen sehen. Hier, dieses weiße Kleid mit dem durchsichtigen, grünen Organzastoff darüber; welch ein Traum!« Anki trat zurück in Ljudmilas Zimmer und tat, als bemerke sie nicht, dass diese inzwischen die Beine aus dem Bett gehoben hatte.
    Eilig trat sie an das nächstgelegene Fenster und blickte über den

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