Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Vorteile ziehen konnte, waren ihm die inzwischen in seinem Haus untergekommenen drei van Campen-Geschwister ein Dorn im Auge geworden.
Demy hasste Näharbeiten. Dennoch gab sie sich redlich Mühe, den neuen Rock sorgfältig zu flicken. Sie wollte damit neue Konfrontationen verhindern und den Bediensteten, deren Anzahl in den letzten Wochen drastisch reduziert worden war, zusätzliche Arbeit vom Hals halten. Bisher hatte Demy angenommen, viele der männlichen Angestellten seien in den Krieg gezogen. Doch nachdem zuletzt auch eine stattliche Anzahl von Frauen nicht mehr zur Arbeit erschienen waren, keimte in ihr der Verdacht, dass sie alle entlassen worden waren. Daraus schloss sie, dass es um die finanzielle Situation der Meindorffs schlecht bestellt sein musste.
Demy hob erschrocken den Kopf von ihrer ungeliebten Arbeit, als die Außentür unsanft ins Schloss donnerte. Stiefeltritte hallten zuerst durch das kleine, anschließend durch das große Foyer und näherten sich ihr. Unwillkürlich versteifte sie sich. Es war spätabends, und der Lichtschein, der durch die angelehnte Tür in das dunkle Foyer fiel, verriet ihre Anwesenheit.
Die Tür wurde aufgestoßen. Joseph sah sie mit vor Wut verzerrtem Gesicht an, und Demy starrte zurück. Der Mann trug an diesem Tag eine neue Uniform mit ähnlichen Abzeichen wie Philippe, weshalb sie annahm, dass Joseph ebenfalls als Oberleutnant fungieren sollte. Aber hatte er sich nicht ursprünglich um die familiären Geschäfte kümmern wollen, statt in den Krieg zu ziehen?
Ohne sie zu grüßen drehte Joseph sich um und ging davon, wobei er die Tür offen ließ. Leise seufzend stand Demy auf und trat zur Tür. Ihr Schatten fiel unnatürlich in die Länge gezogen innerhalb eines hellen Rahmens auf das gemusterte Parkett. Sie hoffte inständig, dass Joseph zumindest Tilla nicht mit der gleichen Ignoranz behandelte, mit der er sie und ihre beiden jüngeren Geschwister übersah. Als Joseph kräftig gegen eine Tür klopfte, hallte das Geräusch laut in der Halle wider. Instinktiv tastete Demy nach dem Lichtschalter und löschte das Licht im Nähzimmer. Sie war nicht gewillt, die Aufmerksamkeit des Rittmeisters auf sich zu ziehen. Mit angehaltenem Atem lehnte sie sich an die Türzarge und presste ihre Näharbeit an ihren Bauch.
Joseph betrat das Arbeitszimmer seines Vaters, wobei er die Tür nicht ganz hinter sich zuzog, wie ein verbleibender schmaler Lichtstreifen verriet. Ohne lange nachzudenken und übermannt von Neugier legte Demy den Rock auf eine Kommode. Sie schlich an der Wand und den abgehenden Türen entlang bis vor den Rauchersalon, der direkt an das Arbeitszimmer grenzte. Hier drückte sie sich in die tiefe Türnische, lehnte sich mit der Schulter an das Holz und schloss konzentriert die Augen.
»Ich könnte deine Hilfe in unserem Überlebenskampf in Berlin gebrauchen!«, knurrte der Hausherr gerade seinen ältesten Sohn an.
»Mir wird hinter vorgehaltener Hand Feigheit nachgesagt! Immerhin bist du noch da, um die Geschäfte zu führen. Die Söhne anderer Unternehmer befinden sich längst im Krieg und das nicht einmal unbedingt als Offizier, sondern zumeist als einfache Soldaten!«
Meindorff schien auf den Einwand seines Sohnes nicht eingehen zu wollen, stattdessen fuhr er fort: »Das Syndikat hat sich praktisch aufgelöst. Jeder kämpft ums Überleben! Das letzte Geschäftsjahr war verheerend. Jetzt hoffte ich auf reichlich Aufträge aus der Armee, vor allem für unsere Funkstationen, aber dieser vermaledeite Rathenau …!«
Etwas zerplatzte knallend, das Klirren von Glas folgte. Demy presste erschrocken eine Hand auf den Mund. Hatte der Rittmeister eine Flasche gegen die Wand geworfen?
»Er hat die Kriegsrohstoffabteilung im Kriegsministerium ins Leben gerufen, aber vergibt er auch die Aufträge?« Joseph klang empört, was Demy nicht verwunderte. Der AE G -Erbe war auf Josephs und Tillas Hochzeit mit Josephs Geliebter aufgetaucht, wobei er von ihrem Doppelleben und der Verbindung zu Joseph vermutlich nichts gewusst hatte. Zudem hatte die AEG immer wieder versucht, sich das Familienunternehmen Meindorff-Elektrik einzuverleiben. Inzwischen zeichnete also Rathenau für die Koordination der Herstellung von kriegswichtigen Produkten verantwortlich! Bei der Fehde, die zwischen Rathenau und Joseph bestand, könnte dies für das Familienunternehmen den Garaus bedeuten.
Meindorffs Stimme klang jetzt sehr leise, und Demy musste sich anstrengen, um seine Worte verstehen zu
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