Sturmzeit
»ich habe in Berlin geheiratet. Ist mein Vater daheim?«
»Ja... sicher...« Das Mädchen schien fassungslos. Felicia hatte den Eindruck, es wußte nichts vom Gang der Ereignisse. Sie folgte Alex, der mit großen Schritten eine Treppe hinaufstieg. »Alex, hör mal, du hast aber doch... ich meine, dein Vater weiß doch...«
»Nein.«
»Was nein?«
»Du meinst doch unsere Heirat, oder? Mein Vater weiß nichts davon.«
»Du wolltest ihm telegraphieren!«
»Das habe ich mir dann anders überlegt.«
»Heißt das... heißt das, er hat überhaupt keine Ahnung davon, daß ich... als deine Frau mit hierher komme?«
»Es wird für ihn die größte Überraschung des Jahres«, erklärte Alex mit zufriedenem Ingrimm. Er pochte kräftig an eine Tür. Auf das Herein öffnete er, nahm Felicia an der Hand und zog sie hinter sich her in das Zimmer. »Vater, darf ich dir meine Frau vorstellen?« fragte er. »Felicia Lombard. Wir haben Ende letzter Woche in Berlin geheiratet.«
Der Mann, der hinter dem Schreibtisch gesessen hatte und sich nun erhob, hatte den gleichen großen, kräftigen Körperbau wie Alex, doch er ging gebeugt, und seine Haare waren grau. Auch die Gesichtszüge der beiden Männer ähnelten einander, die dunklen Augen, die schmalen Lippen, das zynische Lächeln. Heute allerdings flackerte das Lächeln nur für den Bruchteil einer Sekunde auf, solange, wie er glaubte, Alex mache einen albernen Scherz. Dann fiel sein Blick auf die blinkenden Ringe an den Fingern seines Sohnes und der fremden Frau, und sein Gesicht erstarrte. »Was heißt das?« fragte er kurz. Alex machte eine hochmütige Miene. »Ist das alles, was du zur Begrüßung deiner Schwiegertochter hervorzubringen hast?«
»Rede keinen Unsinn. Du hast in Wahrheit nicht geheiratet.«
»Doch. Willst du die Urkunde sehen?«
Sein Vater zögerte. »Sie müssen verzeihen«, wandte er sich dann an Felicia, »die Scherze meines Sohnes gehen manchmal etwas weit, Fräulein...?«
»Frau Lombard«, sagte Felicia mit klarer Stimme. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, dann sagte er mit grollender Stimme: »Ich bin Severin Lombard. Und jetzt sagen Sie mir noch einmal ins Gesicht, daß Sie meinen Sohn geheiratet haben!«
Felicia lächelte. Sie hatte keine Angst. Dieser Mann war wie ihr Großvater, und vor dem hatte sie sich auch nie gefürchtet.
»Ja«, sagte sie, »es ist so. Alex und ich haben geheiratet.«
Severin stutzte. Er hatte nie eine Frau gekannt, die nicht vor ihm gekuscht hätte. In seinem Mienenspiel rangen Ungläubigkeit, Ärger - und Bewunderung. Die Bewunderung siegte, als ihm aufging, daß Ärger und Ungläubigkeit nichts nutzen würden. Er traf selten auf Menschen, die ihm ebenbürtig waren, und wie viele Tyrannen war er stets auf der Suche nach jemandem, der es wagen würde, ihm Einhalt zu gebieten. Egozentrisch, herrschsüchtig und raffgierig wie er war, witterte er in dem fremden jungen Mädchen eine verwandte Seele. Siehatte nichts mit anderen Frauen gemein. Und sie - er ließ seinen Blick zwischen ihr und Alex hin und her schweifen - sie war nicht in seinen Sohn verliebt. Nicht im mindesten. Er kicherte boshaft. »Willkommen, Felicia«, sagte er, »Sie haben sehr schöne Augen!«
Als Felicia am nächsten Morgen ins Frühstückszimmer kam, war Alex nicht da. Sie traf nur seine Schwester Kassandra, ein sechzehnjähriges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren und dunklen Augen, das sie schon am Abend zuvor beim Essen kennengelernt hatte. Kat präsentierte sich ganz als das Kind, das sie war, verspielt, launisch, lebhaft, kokett und zärtlich, und Felicia, die selten Frauen als Freunde gehabt hatte - außer der schafsköpfigen Linda und der hellsichtigen Sara - bemerkte verwundert, daß Kat Lombard ihr ihre Freundschaft anbot. Ihr Blick war erwartungsvoll.
»Guten Morgen, haben Sie gut geschlafen?« fragte sie. »Oder darf ich du sagen?«
Felicia rückte ihren Stuhl zurecht. »Du sollst du sagen. Wo ist denn der Kaffee? Ach hier«, sorgfältig schenkte sie ein. Kat seufzte. »Du hast es gut. Ich muß saure Sahne zum Frühstück trinken. Wegen meiner Nerven.« Sie verzog das Gesicht. »Ich war schon mehrmals zur Kur. Damit ich dicker werde. Aber es hilft nichts. Bei mir bleibt nichts hängen.«
Felicia musterte den zerbrechlichen, schmalen Körper, der in dem langen, grauen Kleid fast versank. Kat war viel zu blaß und hatte bläuliche Schatten um die Augen, ihr Gesicht sah knochig und spitz unter den dicken, dunklen Haaren hervor, und
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