Sturz Der Engel
Borduniform über den nackten Körper streifte. Sie tappte barfuß die Treppe hinunter, nachdem sie unter der Liege etwas hervorgeholt hatte, das Nylan nicht erkennen konnte.
Als der kalte Wind durch die offenen Fenster ins Zimmer strich – sowohl das Einzelfenster mit dem Duraglas als auch das zweite, das nur mit Läden zu versperren war, standen offen –, zog sich der Ingenieur die Decke bis zum Kinn hoch und wartete … wartete.
Er hatte die Augen schon geschlossen, als er ihre nackten Füße wieder hörte. Verschlafen drehte er sich um. »Warum hast du so lange gebraucht?«
»Ich bin zu Istril gelaufen, sie wollte etwas von mir«, erklärte Ryba. »Anscheinend bin ich niemals außer Dienst. Ich konnte ihr helfen, aber es hat etwas länger gedauert als ich dachte. Sie hält viel von dir.«
»Sie ist eine gute Frau.« Nylan unterdrückte ein Gähnen und streckte die Hand zu ihr aus. Seidenweich war ihre Haut. Kaum zu glauben, dass diese Haut einem Racheengel gehörte. Dem Racheengel.
»Ja. Alle Marineinfanteristinnen sind gute Frauen. Deshalb mache ich das, was ich mache.« Ryba ließ sich von Nylan berühren, aber der Ingenieur spürte ihre Zurückhaltung, wie er sie in der letzten Zeit schon so oft und selbst in den intimsten Augenblicken gespürt hatte.
Er unterdrückte ein Seufzen und stimmte ihr zu. »Sie sind alle gut und ich bemühe mich, so gut ich kann.«
»Ich weiß.« Die beiden Wörter waren weicher und leiser und trauriger. »Ich weiß.« Aber sie sagte nichts weiter, als sie in der kühlen Nacht, der Vorbotin eines viel, viel kälteren Winters, beisammen lagen. Ryba schauderte einmal, zweimal, und schwieg.
Hryessas Worte kamen ihm in den Sinn. Aber sie ist der Engel.
Bei der Dunkelheit, was hatten sie da in Gang gesetzt? Und wohin würde es führen?
XXXVIII
S illek deutet auf den Stuhl neben dem Farn mit den breiten Wedeln, der die Sitzecke vor den neugierigen Blicken von Zeldyans Angehörigen und Gefolgsleuten abschirmt.
»Ihr seid sehr freundlich, Fürst Sillek«, murmelt Zeldyan, als sie sich setzt. Schüchtern vorgebeugt, spricht sie mit der rauchigen und doch glockenhellen Stimme gerade eben laut genug, um im Plätschern des Springbrunnens verstanden zu werden.
»Nein«, erwidert Sillek. »Ich bin nicht freundlich, sondern ein sehr glücklicher Mann. Ihr seid eine kluge und schöne Frau und …« Er zuckt mit den Achseln, weil er nicht in Worte kleiden will, was er denkt. Trotz der scheinbaren Abgeschiedenheit ihrer Sitzgruppe ist ihm wohl bewusst, dass alles, was er sagt, zu Gethen weitergetragen werden wird.
»Eure Worte sind sehr freundlich.«
»Ich bemühe mich auch, stets freundlich zu handeln«, antwortet er, während er sich setzt und den Stuhl herumdreht, damit er ihr ins Gesicht sehen kann.
»Manchmal gibt es Notwendigkeiten, die der Freundlichkeit entgegen stehen.« Erst jetzt schaut die blonde Frau ihn offen an. »Aber die Notwendigkeit mag dennoch freundlich zu Euch sein.«
»Ihr sprecht sehr offen, meine Dame, und Ihr sprecht, als wäre ich Euch eine bloße Pflicht. Gibt es denn noch jemanden, der um Eure Hand angehalten hat?«
Zeldyan lacht. »Viele haben um mich angehalten, aber keiner, denke ich, hat mich gemeint. Vielmehr haben sie durch mich um meinen Vater geworben.«
»Ihr sollt wissen, dass es mir Leid tut.«
»Ihr seid aufrichtiger als die meisten anderen Männer und Ihr seid ein schmucker Mann.« Sie berührt kurz mit der linken Hand das silberne und schwarze Stirnband. Ein trauriges Lächeln spielt um ihre Lippen. »Habt Ihr denn nicht auch schon um andere Frauen angehalten?«
»Ich fürchte, in diesem Punkt habt Ihr mir etwas voraus, denn ich habe noch nie um eine Frau angehalten und bin noch nie umworben worden – bis jetzt.«
»Aber wie kann das sein?« Sie beugt sich noch ein klein wenig weiter vor.
»Weil …« Er zuckt mit den Achseln. »Ich wollte mich nicht in eine Verbindung zwingen lassen, die auf Notwendigkeit allein beruhte.« Er lacht kurz auf und versucht gar nicht erst, den bitteren Unterton zu verbergen.
»Ihr seid zu ehrlich, um ein Fürst zu sein, Ser. Ich fürchte, Ihr werdet für Eure Aufrichtigkeit teuer bezahlen müssen.« Sie spricht jetzt munterer.
»Vielleicht könnt Ihr mir dabei helfen.«
»Unaufrichtig zu sein?« Sie hebt die Augenbrauen.
»Nur wenn die Unaufrichtigkeit bedeutet, aufrichtig lieben zu lernen.«
»Ihr geht sehr dicht auf Euer Ziel los, Ser Sillek.« Sie betrachtet nachdenklich die glatt
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