Sturz Der Engel
ließ er Siret und Ellysia den Vortritt, denn sie hatten es eiliger, mit ihren Wiegen fertig zu werden.
Von der anderen Seite des Turms drang der Geruch nach Fleisch herüber – Pferdefleisch, das auf dem großen Herd langsam köchelte. Es roch auch nach Brot: ein wenig bitter, wie Huldran und die anderen bereits erklärt hatten.
Nylan leckte sich unwillkürlich die Lippen. Freute er sich etwa auf das Pferdefleisch? Es war ein langer Winter gewesen. Ein paar Tage lang würden sie gut essen, dann einen Achttag lang fast nichts mehr. Er versuchte, nicht an den armen, müden Gaul zu denken, und konzentrierte sich wieder auf das Netz.
»Wie fängt man Schneehasen?«, hatte Nylan sich bei Murkassa erkundigt.
»Ich kann weben, ich kenne mich mit Kühen und Schafen aus, aber nicht mit der Jagd. Jagen ist Männersache, Ser Magier.« Das Mädchen mit dem runden Gesicht hatte mit den Achseln gezuckt, als hätte Nylan es selbst am besten wissen müssen. Dann hatte sie hinzugefügt: »Es ist zu kalt für uns, um hier zu jagen. Ihr Engel könnt hinaus, aber ich muss im Turm bleiben.«
Hryessa hatte ihm ein wenig weiterhelfen können. »Mein Onkel hat mir einmal seine Fallen und Netze gezeigt …«
Nachdem er sich angehört hatte, wie Fallen aussahen und aufgestellt wurden, hatte Nylan beschlossen, dass man im tiefen Schnee auf dem Dach der Welt besser Netze verwendete.
Aber er hatte nicht bedacht, wie mühsam es sein würde, ein Netz herzustellen. Er zwang sich, tief zu atmen, und begann zu schneiden. Er versuchte, die Hände ruhig zu halten, denn er wusste, dass er sich wie bei allem keinen Fehler erlauben konnte, wenn er das Leder nicht vergeuden wollte.
Er rieb sich die Nase und unterdrückte ein Niesen. Angesichts des Staubes, der nach dem Bau des Turms liegen geblieben war, und angesichts des neuen Staubes aus der Schreinerei und vom Heizofen fragte er sich, warum sie nicht alle ständig niesen mussten.
Nach einem weiteren Ausbruch rieb sich der Ingenieur die wunde Nase.
»Es ist schwer, sich das Niesen zu verkneifen«, sagte Siret, die gerade die Seitenbretter ihrer Wiege abhobelte. »Ich hasse es, wenn ich niesen muss. Jetzt noch mehr als früher.«
Überall in der Werkstatt waren Wächterinnen mit verschiedenen Arbeiten beschäftigt. Ayrlyn versuchte, eine neue Lutar zu bauen. Für die Saiten nahm sie Glasfaserkabel aus einem Landefahrzeug. Überraschenderweise arbeitete auch Hryessa an einer Lutar.
Als er sich auf den Boden kniete, um die Riemen zu einem Netz zu verknoten, sah Nylan aus den Augenwinkeln Stiefel, die sich ihm näherten.
»Das sieht doch schon ganz anständig aus«, sagte Ryba.
Nylan stand auf. »Das Netz? Ja. Ob es funktioniert, ist eine andere Frage, aber ich dachte, ich versuche es mal mit einer neuen ökologischen Nische.«
Die Marschallin lachte. »Sogar wenn du über die Jagd sprichst, redest du wie ein Ingenieur.«
»Das könnte daran liegen, dass ich einer bin.«
»Woran arbeitest du sonst?« Ihr Blick wanderte zu dem Holz, das hinter Nylan lag.
Er deutete auf die Einzelteile und war froh, dass die Stirnseite zur Wand gedreht war, sodass man die Schnitzerei nicht sah. Die Wiege selbst konnte er nicht verstecken, aber wenigstens der Schmuck sollte eine kleine Überraschung werden.
»Die Wiege für Dyliess und ein Stuhl.« Er lachte. »Wenn die Wiege fertig ist, muss ich mit einem Bett beginnen. Kinder wachsen schnell. Aber das hat noch etwas Zeit, bis der Schnee schmilzt und wir in besserer Verfassung sind.«
»Manchmal glaube ich, das Leben hier ist ein ständiger Wechsel zwischen Warten und Handeln, und dann fürchte ich, ich könnte mich im falschen Augenblick zum Warten entscheiden, weil wir nicht genug Reserven haben, um auf etwas warten zu können.« Ryba lachte gezwungen. »Aber so ist das Leben wohl überall.«
»Was machst du?«, fragte er.
»Ich überprüfe, was die anderen tun. Dann ziehe ich Wächterinnen heraus, damit sie mit den Schwertern üben.«
»Immer noch im vierten Stock? Es ist ziemlich dunkel da oben.«
»Es geht ganz gut und wenn es dunkel ist, müssen sie sich wirklich konzentrieren. Übrigens kommt es beim Schwertkampf mindestens so sehr auf das Gefühl wie aufs Auge an.« Ryba räusperte sich. »Nylan … du musst mit dem Schwert üben. Du musst sogar viel üben.«
»Schon wieder eine Vision?«, fragte er niedergeschlagen.
»Schon wieder eine Vision.« Ihre Stimme klang so bedrückt wie seine.
»Also gut. Wenn ich noch etwas an dem Netz
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