Sturz Der Engel
hätte unterirdisch verlegen sollen«, murmelte Nylan.
»Die Frage ist bloß, wann du dazu Zeit gehabt hättest«, warf Ayrlyn ein.
»Die Straße zur Hügelkuppe muss gepflastert werden.« Nylan ignorierte ihren Einwand. Sie hatte natürlich Recht, denn die einzige freie Zeit hatte er nach dem Einsetzen der Schneefälle gehabt. »Es ist sowieso fast unmöglich, den Turm zu verlassen.« Er blickte zu den Tannenstämmen, die neben der Zufahrt gestapelt waren. Die untersten waren schon halb im Schlamm versunken. »Wir sollten jetzt vielleicht das restliche Holz sagen und spalten.«
»Du hast wohl immer etwas zu tun, was?«
»Es gibt immer mehr zu tun als Zeit, um es zu tun«, erklärte er.
Sie nickte langsam. »Glaubst du, wenn du stirbst, wird man ein großes Monument aus Stein bauen, auf dem steht: ›Er hat das Unmögliche geschafft‹? Oder: ›Er hat mehr geschafft als drei andere Menschen‹?«
»Niemand wird mir ein Monument errichten und Ryba hat auch nichts Derartiges prophezeit.« Nylan hielt inne und fuhr ironisch fort: »Wisst ihr denn nicht, dass ich den Turm aus genau diesem Grund gebaut habe? Es ist das einzige Monument, das ich je haben werde, und ich bin außer euch der Einzige, der es weiß.«
»Ingenieur, du bist unmöglich.« Ayrlyn drehte sich zu ihm herum und sah ihn mit braunen Augen an, hinter denen ein dunkler Schimmer lag. »Sie sieht die Zukunft, aber du nimmst die Last der Zukunft auf die Schultern.«
»So sieht es wohl aus.« Nylan zuckte mit den Achseln. »Aber wer sonst wäre dazu bereit? Die Wächterinnen und sogar Ryba lachen über meine Bauwut, über meine Besessenheit – so nennen sie es. Der besessene Ingenieur.« Seine Stimme klang bitter. »Doch wenn es ein Roman oder ein Trideofilm wäre, würden die Redakteure alle Abschnitte über das Bauen herausschneiden, weil diese Teile zu langweilig sind. Helden sollen den Feind erschlagen, niemand soll über Unterkünfte oder Wärme, Geld oder Ställe nachdenken müssen oder ob die Straßen gepflastert werden sollten oder ob man Brücken und eine Kanalisation braucht, damit die Straßen passierbar bleiben. Badehäuser sollten sich wie von selbst bauen, wusstest du das? Ryba gibt den Befehl, dass wir sanitäre Einrichtungen brauchen, und auf einmal sind sie da. Es ist ja egal, dass die meisten Wächterinnen lieber stinken, als sich mit kaltem Wasser zu waschen. Es ist egal, dass in unterentwickelten Kulturen mehr Menschen durch schlechte Hygiene als in Schlachten sterben. Aber das Bauen ist langweilig. Die Herstellung von besseren Waffen wahrscheinlich auch. Wer sie benutzt, wird geachtet und gerühmt und beflügelt die Phantasie der Menschen. Verdammt auch … wo immer in den Mythen Schmiede auftauchen, werden sie zur Zielscheibe von Scherzen, und allmählich verstehe ich auch den Grund.«
»Du bist wütend, nicht wahr?«
»Ich? Der ruhige, beherrschte Ingenieur? Ich soll wütend sein?« Nylan schluckte. »Schon gut. Ich wollte dich nicht ärgern.«
»Du hast mich nicht geärgert, Nylan, und ich kann dich verstehen. Glaubst du denn, es wäre anders, wenn ich hinausgehe und Handel treibe? Wir brauchen all diese Waren zum Überleben, aber auch der Handel ist nicht so ruhmreich wie der Sieg in einer Schlacht. Weißt du, wie es ist, wenn alle Männer deine Haare anstarren und dich mustern, als würdest du keine Kleider tragen? Zu wissen, dass du das Schwert nicht erheben kannst, weil Frauen Gebrauchsgegenstände sind, mit denen man fast nach Belieben verfahren darf? Zu wissen, dass du nicht mehr eintauschen kannst, was du brauchst, wenn du die Klinge dennoch benutzt?« Sie sprach jetzt leise und mit deutlich ironischem Unterton. »Außerdem will niemand mit einer Frau Handel treiben, die jemanden umbringt und sich danach auf die eigenen Stiefel kotzt.« Die rothaarige Frau lachte. »Es gibt auch keine Trideofilme über Leute, die Mehl und Hühner kaufen.«
»Nein, es geht immer nur um die großen Helden«, sagte Nylan. »Um Leute wie Ryba.«
»Auch sie hat es nicht leicht«, wandte Ayrlyn ein. »Manchmal kann sie in die Zukunft sehen.«
»Ich weiß.«
»Das muss schrecklich sein.«
»Ich glaube schon.« Nylan wollte nicht mehr dazu sagen, denn er fühlte sich, als hätte er schon zu viel gesagt, und Ayrlyn war nicht einmal die Frau, mit der er schlief.
»Ich meine es ernst. Wenn sie eine Vision hat oder was auch immer, kann sie dann darauf vertrauen? Wagt sie es, sich dagegen zu stellen? Was soll sie tun, damit die Vision wahr
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