Sturz Der Engel
wie am Anfang und Nylan konnte nicht mehr die kleineren Einzelgräber voneinander unterscheiden, die im Südosten der Wiese standen, fast gegenüber der zweiten Schlucht, durch welche Gerlichs Männer eingedrungen waren.
Ein Trupp neuer Wächterinnen hatte bereits den Durchgang am oberen Ende der Schlucht blockiert und einen kleinen, versteckten Wachturm errichtet, von dem aus man den Weg überblicken konnte.
Wie viel hast du geschehen lassen, Ryba, dachte Nylan, weil du es nicht gewagt hast, gegen deine Visionen zu handeln? Vielleicht … vielleicht gibt es noch Schlimmeres, als jeden Tod in den eigenen Knochen zu spüren. Ist mein Gefühl für diejenigen, die ich getötet habe, wirklich so viel schwieriger zu ertragen als deine Furcht, Menschen unnötig in den Tod getrieben zu haben? Und dazu die Aussicht, für immer mit dieser Schuld leben zu müssen?
Eine kleine Gestalt saß am Ende der Mauer neben der Zufahrt und schaute in Richtung der Grabhügel. »Warum hast du meine Mutter nicht gerettet?«
Nylan wäre angesichts der direkten Frage beinahe zurückgeschreckt. Nach kurzem Überlegen sagte er langsam: »Ich habe versucht, so viele wie möglich zu retten.« Indem ich so viele Angreifer wie möglich getötet habe, fügte er bei sich hinzu.
»Aber die waren nicht meine Mutter.« Niera sah Nylan aus dunklen Augen bohrend an. »Sie waren nicht meine Mutter. Die Engelsfrau hat die anderen Mütter im Turm bleiben lassen.«
»Wollte deine Mutter denn im Turm bleiben?«
»Nein. Du und die Engelsfrau, ihr hättet sie zurückhalten müssen.«
Darauf wusste Nylan keine Antwort, jedenfalls keine ehrliche Antwort, aber er hielt dem Blick des Mädchens stand. Dann sagte er: »Vielleicht hätten wir das tun sollen, aber ich kann nicht rückgängig machen, was geschehen ist.«
Niera wandte sich ab und starrte zu den Grabhügeln. Ihr schmächtiger Körper bebte. Nylan trat zu ihr und berührte leicht ihre Schulter. Ohne aufzuschauen, stieß sie seine Hand weg. So blieb er nur bei ihr stehen, während sie lautlos schluchzte.
CXIV
E in kräftiger und kühler Wind, ein Vorbote des kommenden Herbstes, wehte durch die erst vor kurzem eingehängten Türen der Schmiede, die im Augenblick noch offen standen. Die Luft brachte den Geruch von frisch geschnittenem Gras, vom Staub, den die Hufe der Pferde aufwirbelten, und von frisch gesägtem Tannenholz mit sich. Drinnen roch es nach heißem Metall, nach dem Kohlenfeuer und nach Schweiß, nach verbrannten Unreinheiten im Eisen, nach beißendem Dampf aus dem Abkühlbecken und nach Öl.
Nylan schlug mit dem Hammer auf die leicht rötliche Legierung, dass oxidierte Stücke als Funken in alle Richtungen flogen. Der Amboss – endlich ein richtiger Amboss, ein schwerer und dicker Metallklotz – war zwar an den Kanten etwas abgenutzt, aber der Hammer klang angenehm darauf. Nylan lächelte erfreut.
»Ist er gut?«, fragte Ayrlyn. »Ich habe den ganzen Sommer danach gesucht. Den hier habe ich in der Nähe von Gnotos von einer Witwe bekommen.«
»Er ist gut, sehr gut. Er fühlt sich gut an.«
»Du scheinst glücklich, wenn du hier arbeitest und Dinge baust oder herstellst und ich kann beinahe die Ordnung fühlen, die du hineingibst.«
»Ihr zwei«, sagte Huldran, während sie etwas Holzkohle ins Feuer legte. »Ihr redet immer von Gefühlen. Es ist, als könntet ihr eher fühlen als sehen, was ihr tut.«
»Bei ihm ist es so«, erklärte Ayrlyn. »Er kann die Körnung des Metalls fühlen.«
Nylan grinste die Heilerin an. »Und sie kann die Krankheiten im Körper fühlen.«
Huldran schüttelte den Kopf, dass ihr kurzes blondes Haar hin und her flog. »So habe ich es mir auch immer gedacht, ich wollte nur nicht nachfragen. Beim Laser nahm ich noch an, es wäre etwas wie das Energienetz im Schiff … ist die ganze Magie hier auf diesem Planeten so? Sind es immer Dinge, die man fühlen muss und die man nicht sehen kann?«
»In gewisser Weise kann man es sogar sehen«, erläuterte Ayrlyn. Sie schob sich das hellrote Haar hinters Ohr. »Es ist eine Art Energiefluss. Wenn alles in Ordnung ist, fließt die Kraft ruhig wie ein dunkler, stiller Strom.«
»Ich weiß nicht, ob es wirklich Magie ist«, überlegte Nylan. Er beobachtete das abkühlende Metall und nahm die Zange, um das Stück wieder ins Schmiedefeuer zu stecken. Als das Blech, das aus einem Landefahrzeug stammte, wärmer wurde, sah er kurz zum zweiten Stück Metall, das von einer zerbrochenen Schwertklinge stammte. Es
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