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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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haben erst mal nicht weiter gebohrt. Sie glaubten zu wissen, wo die kleinen Kinder herkommen. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Männer mit Vollbärten. Fällt Ihnen irgendein vernünftiger Grund ein, warum jemand Vollbart tragen sollte? Natürlich nicht! Es sei denn, man will von Aknenarben oder einer Halbglatze ablenken. Die Bürgerrechtler ganz genauso, glauben Sie mir, Männer sind eitel. Das hatte auch bei denen nichts mit Überzeugung zu tun. Die meisten waren einfach nur testosteronmäßig unterversorgt.
Das
meine ich mit grünen Elefanten. Oder gucken Sie sich ältere Frauen an. Riesige Klunker um den Hals, die irrsten Broschen am Busen, und wozu? Täuschungsmanöver. Sie wollen über ihren runzligen Hals hinwegtäuschen. Wo Sie auch hinsehen, grüne Elefanten. Ablenkungsstrategie. Um Ihnen das mal ins Heute zu übersetzen. Bei uns passierte das in Büchern, im Kabarett. Man baute offensichtlich kritische Passagen ein, um von den subtileren Botschaften abzulenken. Einige Zuschauer erinnern sich sicher daran. Die allzu kritische Passage wurde
gestrichen, die subtile Botschaft kam unbehelligt durch die Zensur. Und das hatte ich mir zueigen gemacht. Wenn ich Inez schrieb, war einer der Briefe so offen kritisch, dass die Stasi vom anderen abgelenkt wurde.
    Das Studiopublikum applaudierte.
    Felix Ton wandte sich wieder den Kameras zu. Er suchte sich die am rechten Bühnenrand und gab den Macherblick. Er taxierte sie wie eine Zielscheibe.
Ein Held war man deswegen ja nicht.
    Die Moderatorin wollte wissen, was er zu den Vorwürfen sage, die vor kurzem in mehreren überregionalen Zeitungen gegen ihn erhoben worden waren.
Auch so ein Ablenkungsmanöver
, sagte er und konnte zum eigentlichen Anliegen dieses Interviews übergehen. Er wollte es den Zweiflern und Nörglern ein für alle Mal schwermachen. Schön warm sollte es diesen ewig Krittelnden ums Herz werden, und dazu musste er die dunklen Töne der Gefühlsorgel spielen.
Sehen Sie, in der Brandenburgischen Landespolitik gibt es immer noch Leute, die eine, wie soll ich sagen,
heilige Scheu
davor haben, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Weil es aber politisch unkorrekt wäre, sich überhaupt nicht mit den
DDR
-Hinterlassenschaften zu beschäftigen, suchen sie pausenlos nach Anlässen, ihr korrektes Verhalten zu beweisen und gleichzeitig von sich abzulenken. Sehen Sie sich nur mal die Potsdamer Stadtplanung an: Völlig sinnlose Abrisswut! Und da haben Sie es wieder: grüne Elefanten. Man täuscht über die Verschmutzung der eigenen Seele hinweg, indem man ideologisch veschmutzte Gebäude abreißt. Auf dem Abrisskrater wird sofort ein Schloss errichtet. Bald wird man in Potsdam den Eindruck haben, die Wende schlösse sich nahtlos an die Regentschaft des letzten Friedrich an. Schlösser sind historisch neutralisiert, sie haben ihre ideologische Last im Lauf der Zeit verloren, sie stehen nur noch für die Schönheit der menschlichen Kultur. Wenn die Herrschaften der Landesregierung erst mal umgezogen sind ins neue Schloss, ist der Reinigungsakt vollzogen. Was spielt es da für eine Rolle, dass dieses Schloss ein fake ist? Ja, ich komme zur Sache. Der Rufmord, der jetzt an mir begangen werden soll, folgt demselben Prinzip. Man will mich moralisch verseuchen, um die eigene Seele reinzuwaschen. – Keine unbekannte Methode, wenn man sich ein bisschen mit der Materie auskennt. Mich kann das nicht schrecken. Ich glaube an unsere zutiefst demokratische Gesellschaft. Letztendlich werden diese Herrschaften von ihren eigenen verbrecherischen Machenschaften zu Fall gebracht. Auch dafür werde ich mich auf bundespolitischer Ebene starkmachen.
    Er nutzte die Gelegenheit, das Gespräch darauf zu lenken, wie er unter denselben Leuten einst zu leiden gehabt hätte. Sie hätten ihn abgeholt, direkt aus dem Hörsaal weg hätten sie ihn in einen Lada verfrachtet und quer durch Berlin gefahren. Sie hätten ihn in eine schmutzige Baracke gebracht, die mit Stacheldrahtmauer gesichert gewesen wäre, in eine überhitzte Zelle, und ihm nur schwarzen Kaffee zu trinken gegeben. Nach einer höllischen Nacht hätten sie ihn vier Offizieren gegenüber gesetzt. Die hätten ihn so in die Mangel genommen, dass er sich an nichts mehr erinnern könne. Nur an den Schmerz in den Händen. Er habe vor Angst die ganze Zeit auf den eigenen Händen gesessen.
    Wahnsinn
, hatte die Moderatorin gesagt.
    War Wahnsinn
, hatte er gesagt und gefasst genickt.
Über Nacht wirst du zu einem

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