Sturz der Tage in die Nacht
er von dem Steingut erzählte, der Keramik, dem Porzellan, das seine Alten angeblich bessessen hatten, Geschenke der Nachbarn zu Geburtstagen, als es noch Geburtstagsfeiern gab. Die Schränke voller Zeug, sagte er, so war das damals, Erbstücke von anno dazumal, die seine Alten nicht brauchten, denn sie hätten nie so einen Aufriss umeinander gemacht, das war Kriegsgeneration, da stieg man zusammen in die Kiste, und damit hatte es sich.
Aber wegen ihr wollte ich es klassisch, auch wenn das nicht üblich war, bourgeois, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Er war nie in den Sumpf zurückgekehrt. Der Modergeruch im Haus, seine Alten, die ihn anstierten mit Angstflimmern in den Augen, weil sie dachten, er komme mit irgendeinem Parteisektretär, der sie zur Maloche zwingen wolle. Der kalte Rauch, der in den Tapeten hing. Das musste er sich nicht mehr geben. Eines Tages war ihm eingefallen, dass nicht alles im Leben lebenslänglich war, und er fuhr nicht mehr hin. Er hatte aufgehört, an den Sumpf zu denken, und schließlich träumte er nicht mehr davon. Und hätte die Wissenschaft festgestellt, dass man per Bluttransfusion lästiges Erbgut loswurde, hätte er sich sofort an die Nadel gehängt, wie er auf Feten zu fortgeschrittener Stunde gerne erklärte. In der
Brigitte
stand, er habe seine Eltern aufgesucht und Teller und Tassen eingepackt, weil es vor der Hochzeit Scherben geben sollte. Inez, die Glücksbringerin. Sie war noch keine achtzehn.
Natürlich waren wir zu jung. Aber mit Kind hätten wir eine eigene Wohnung gebraucht. Typisches Ostschicksal
.
Was nicht das Schlechteste war. Auf diese Weise wurden viele mit ihren Kindern gemeinsam erwachsen.
Einen Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag habe er die ganze Straße einladen wollen, das gesamte Neubauviertel mit seinen Abschnittsbevollmächtigten und seinen Schichtarbeitern, und auf dem Wäscheplatz zwischen zwei Wohnblocks habe gegrillt und getanzt werden sollen. Und noch bevor das Kind kommen sollte, habe er mit ihr verreisen wollen ans Schwarze Meer.
Sie können sich meine Erschütterung vorstellen, als ich erfahren musste, dass sie unseren Jungen im Stich gelassen hat. Das können Sie gern wörtlich übernehmen.
Statt mit ihm zu verreisen, habe sie mit ihren Eltern ausreisen sollen. Er habe auf sie eingeredet. Er habe auf ihren Widerstand gezählt. Die Eltern hätten allein Rübermachen können. Sie hätte selbst entscheiden sollen. Sie hatte Verantwortung für ein zweites Leben; Ausreisewilligen nahm man gern die Kinder weg.
Ein bisschen Übertreibung habe schon dazugehört, das stritt er nicht ab, das
wollte er gern einräumen
für alle, die es mit nostalgischer Verklärung der Vergangenheit hielten, aber es seien begründete Ängste gewesen: Die Schwierigkeiten, die solche wie sie nach Stellung des Ausreiseantrags in der Schule haben würden, die jahrelange Unsicherheit, die Schikanen, die Demütigungen, ein Leben als Außenseiter, er habe das nicht ausgeschmückt, nur zu bedenken gegeben. Er sei dafür gewesen, dass sie bleiben, sie und er und das Kind, aber da sei er bereits als Verräter betrachtet worden, von ihr, aber vor allem von ihrem Vater, ein Hardliner,
sozialismusfeindlich waren ja viele, aber der hat einen schon als potentiellen Spitzel gesehen, wenn man nur mal anderer Meinung war
, und Spitzel heiratete man nicht, von denen trennte man sich.
Felix Ton war kein Spitzel gewesen.
Inez’ Eltern hatten einen Ausreiseantrag gestellt oder auch nicht.
Dieses ganze Kalte-Kriegs-Dilemma,in dem unsereiner damals steckte, das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Aufrüstungspolitik. Pershing I und II . Die KSZE -Schlussakte so gut wie vergessen. Der Nord-Ostsee-Kanal gerade eröffnet. Im
Flink Fertig
gab es strohige Kuba-Apfelsinen.
Im
rbb Morgenmagazin
hatte er erzählt, wie er nach dem Ausreiseantrag der Eltern gelernt hatte, immer zwei Briefe gleichzeitig an Inez zu schicken. Der eine davon voller grüner Elefanten.
Die Moderatorin lachte. Sie war eine junge, getuschte Brünette, und ihr Lachen lenkte ihn kurz ab. Drei Kameras bewegten sich auf Rollen langsam am Rand der kleinen Bühne, und seit der Redakteur das Aufnahmesignal gegeben hatte, behielt er sie im Blick. Jetzt sah er der Frau ins Gesicht. Sie gefiel ihm ganz gut, und er fing an, ein bisschen abzuschweifen.
Grüne Elefanten, das ist wie mit dem Klapperstorch. Wenn Ihnen als Kind vom Storch erzählt wurde. Dann haben Sie an den doch auch geglaubt, oder nicht? Sie
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