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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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ausgerechnet dieses Detail so plastisch vor Augen führte. Dann war er selbst nachsehen gegangen.
    »Siehst du«, sagte Feldberg, »das ist der Unterschied zwischen uns. Statt dich auf das zu konzentrieren, was ansteht, lässt du dich zu sekundären Assoziationen verleiten.«
    »Du hast es überstrapaziert. Inez wäre sowieso rübergegangen.«
    »Wieso rübergegangen?« Sie standen am Fenster. Der Morgen warf ein flammendes
    Muster auf den Sims. Unten fuhren die Straßenbahnen. »Niemand ist rübergegangen.« Feldberg legte ihm eine Hand auf die Schulter, ein besänftigender Griff, den Ton gern abgewehrt hätte, wozu er aber zu müde war. »Du bringst alles durcheinander, Felix. Du wärst für uns völlig unbrauchbar gewesen.« Feldbergs Stimme wurde milchig.
    »Unsinn! Hast du mir damals nicht gesagt, die Familie wollte weg?«
    »Es ist vorteilhaft, wenn du die Geschichten, die du verbreitest, internalisierst. Aber ich kann dir versichern, Inez war die ganze Zeit hier. Sie hat eine Ausbildung zum Facharbeiter für die Be- und Verarbeitung pflanzlicher Produkte gemacht. Wir hatten eine Kontaktperson in ihrer Brigade.«
    »Sie hätte den Jungen nie zur Adoption freigegeben. Nie!«
    »Du hast die Akte doch gesehen.« Feldberg war gelangweilt. »Oder frag sie selber. Dann wird sie dir vielleicht auch sagen, dass sie sich aus Versehen in ihn verguckt hat.«
    »In wen?«
    »Wovon red ich denn die ganze Zeit? In den Jungen natürlich.«
    »Sie hat was?«
    »Sie hat den Beweis erbracht, dass eine Naturschutzinsel nicht vor den Gefahren der menschlichen Natur schützt. Im Gegenteil. Eine Landschaft mit Vögeln«, sagte Feldberg und grinste, »
stimuliert
. Das führt unter Umständen dazu, dass man den Geschlechtsverkehr mit dem eigenen Sohn vollzieht.«
    »Du redest schon wieder Blech, Genosse.«
    »Hab ich dir jemals die Unwahrheit gesagt?«
    »Dann kapier ich’s wohl bloß nicht.«
    »Ganz der Sohnemann. Der hat an einer entscheidenden Stelle genau das Gleiche von sich gegeben.«
    »
Mein
Sohn bumst seine Mutter? Willst du mich verarschen?«
    Feldberg trommelte leicht mit den Fingern auf den Fenstersims. »Wenn du nicht bald schaltest, fange ich an, mir wirklich Sorgen zu machen, mein Lieber. Das wäre uns früher ganz schlecht bekommen.«
    »Ich an deiner Stelle«, sagte Ton, und langsam hatte er Feldberg richtig satt, »wäre vorsichtig mit so was. Sonst könnte ich mich vergessen.«
    »Wer die Wahrheit sagt, hat es noch nie leicht gehabt.«
    »Ich würde mal überprüfen, ob es sich da nicht um eine deiner ausgefuchsten Verleumdungsstrategien handelt. Wo wir gerade beim Internalisieren von Geschichten sind.«
    Draußen begann der Morgen, der Tag brach an, wie man so sagte, und es müsste einem doch vergönnt sein, das ungestört zu genießen, dachte Ton, allein in der frischen unberührten Luft zu stehen, ein paar Kniebeugen auf dem Balkon zu machen, bevor es heiß wurde, sich jung und dynamisch zu fühlen und dann der Welt zu begegnen mit genau dem Lächeln, wie es noch für drei bis vier Wochen täglich an den Straßenbahnhaltestellen der Stadt auf Hochglanz zu sehen war. Das musste doch möglich sein. In Ruhe zu duschen, eine der blau-gelben Seidenkrawatten anzulegen, die seine Bräune gut zur Geltung brachten, wie man auf dem Foto sah, Maja anzurufen, die wahrscheinlich schon im Büro war und seine Termine durchging, und diesen leidigen Eindringling wenigstens für ein paar Stunden loszuwerden. Ihn und seine bekloppten Einfälle.
    Grillen.
    Schnapsideen, in die Feldberg ihn aus Langeweile hineinredete, weil er sich nie ein eigenes Leben, immer nur das anderer zutraute.
    Ton machte die Balkontür weit auf. Es musste doch möglich sein trotz des Alkohols, der spürbar hinter seinen Schläfen schwamm, diesem ganzen miserablen Komplott zu entkommen, der ihn noch zum Schmierenkomödianten machte. Da kapitulierte dieser Mehlwurm zuerst vor einem der schlichteren Aufträge seiner Laufbahn, und jetzt ging das Ding auch noch nach hinten los. Ton war nicht zimperlich. Aber den degenerierten Vater eines Inzesttäters würde er nicht abgeben. Wenn das durch die Presse ging, war er erledigt. Kaltgestellt. Sogar bei seinen SO s. Und die wären das kleinste Übel. Ein Sohn, der mit der eigenen Mutter schläft, war nicht gerade das Familienidyll, auf dem er seine Kampagne aufgebaut hatte. So was bekam man nicht mehr los, das haftete an einem wie die eigene Herkunft. Da konnte er sich noch so viele Krawatten umhängen. Der Ekel

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