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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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vielleicht eine Viertelstunde. Ins Büro konnte ich nicht hineinsehen, weil die Jalousie heruntergelassen war, ich sah nur die Lichtpünktchen zwischen den Ritzen. Nichts geschah. Als ich mich wieder aus den Brennesseln herausgearbeitet hatte und zurückgehen wollte, hörte ich Feldberg hinter mir sagen: »Erik!« Er klang nicht überrascht.
    »Ich habe Licht gesehen und dachte …«
    »Sie wollten doch nicht um diese Zeit noch arbeiten?« Er klang gutgelaunt.
    »Und Sie?«, sagte ich. Inez Büro war jetzt dunkel.
    »Das Gehirn arbeitet immer. Nur nicht immer in die gewünschte Richtung.« Er schloss die Tür ab. »Mir will nicht in den Kopf, dass sich die Tollkirsche innerhalb eines Jahres dermaßen vermehrt haben soll. Sie gehört zu den Pflanzen, die auf diese Insel eingeschleppt worden sind, und wenn ihre Ausbreitung bisher nicht verhindert wurde, kann das nur heißen, dass Auflagen nicht beachtet werden. Und tatsächlich. Ich habe es gerade noch einmal nachgeschlagen; die Verdrängung nicht standortgerechter Pflanzen ist ein wichtiger Punkt in der Zielvereinbarung mit dem Verein.«
    »Und das müssen Sie nachts nachschlagen«, sagte ich.
    »Ach so, daher weht der Wind.« Feldberg legte mir seinen Arm um die Schultern. »Sie sind ein wachsamer junger Mann, Erik. Inez hat Ihnen sicher gesagt, dass ich ein Unruhestifter bin, womöglich sogar aufdringlich, nicht wahr, und jetzt denken Sie, Sie haben einen Schnüffler auf offener Tat ertappt, nicht wahr? Warum glauben Sie ihr? Hat Inez Ihnen auch gesagt, dass ich sie einmal beim Betrügen erwischt habe? Geldunterschlagung? Dass sie ihre Doktorarbeit deshalb erst jetzt schreibt? Das ist lange her, aber sie hat es mir nie verziehen.« Er lachte. »Manche Sachen verfolgen einen ein Leben lang.«
    »Und da wollten Sie sie gerade jetzt um Verzeihung bitten.«
    Feldbergs Hand steuerte mich an der Schulter den Weg entlang. »
Diese
Hoffnung habe ich schon lange aufgegeben.«
    »Sie wird nicht mit Ihnen reden.«
    »Sie haben es also versucht?«
    »Sie erzählt mir auch nichts über Sie. Falls Sie sich da Sorgen machen.«
    »Das weiß ich. Aber sie könnte. Geben Sie nicht auf.«
    »Das haben Sie mir schon gesagt.«
    »Information ist alles«, sagte Feldberg. Er schaltete die Taschenlampe an. Der Schein stach einen Dunghaufen dicht vor uns aus dem Boden aus. »Ohne umfassend informiert zu sein, können wir nie gewährleisten, dass unsere Schlüsse, die wir über Menschen ziehen, richtig sind. Das ist das A und O, Erik, das A und O meiner Tätigkeit. Und des Lebens. Finden Sie nicht, dass Entdeckungen aufregend sind?« Wir umrundeten den Dung und begannen den Aufstieg zum Leuchtturm.
    »Kommt drauf an.«
    »Wenn man so jung ist wie Sie, sollte alles eine Entdeckung sein.«
    »Das sagt der Mann, der schon Pferde hat kotzen sehen.«
    »Glauben Sie, Sie leben ewig?«, sagte Rainer Feldberg heftig. »Ihre Arroganz, junger Mann, ist nicht angebracht. Sie sollten wissen, dass wir in dieser kurzen Spanne unseres Lebens nur eine noch viel kürzere Zeitspanne haben, in der es uns überhaupt möglich ist, echte Entdeckungen zu machen. Diese Offenheit, was glauben Sie denn, wie lange Sie dazu noch in der Lage sind? Wie lange Sie noch auf diese unsichere Weise durch die Gegend stolpern? Widersprechen Sie nicht, schätzen Sie sich lieber glücklich! Wie lange, denken Sie, dauert so eine Phase? Fünf Minuten, zehn? Ha! Verschätzt mein Freund. Ein Zischen, und schon ist es verglüht. Ehe Sie es bemerken, haben Sie sich eingerichtet. Sie versinken in Ihrem Sofa und gehen auf Nummer sicher. – Also Erik, vergessen Sie Ihr zartes Selbstmitleid! Sie haben nicht viel Zeit, aber noch haben Sie sie. Noch haben Sie diese unverschämte Ahnungslosigkeit.«
    Ich sah Feldberg von der Seite an. Das Zwielicht hob die flachen Stellen seines Gesichts schattig empor. Er sah zurück, und sein Blick war fast körperlich spürbar.
    »Aber Sie
haben
doch schon etwas entdeckt«, sagte er, »nicht wahr?«
    »Einen wie Sie«, sagte ich locker. »Mir ist gerade klargeworden, dass Sie ein richtiges Aha-Erlebnis sind.«
    »Ich?« Er lachte. »Na, kommen Sie, reden Sie nicht so einen Unsinn. Wissen Sie«, sagte er dann, »mich wundert es überhaupt nicht, dass Sie Inez glauben. Sie sind verliebt. Da ist das eine ganz natürliche Reaktion. Widersprechen Sie nicht. Man sieht es Ihnen an.«
    Ich merkte, wie ich rot wurde. Ich hatte so ein Gespräch noch nie geführt, nicht mit Annegret, nicht mit einem meiner Kumpel,

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