Sturz der Titanen
betrachtet sich schon jetzt als inoffiziell verlobt mit Ihnen, und diese … Verlobung wird er niemals lösen. Dafür ist er viel zu sehr Ehrenmann. ›Mach nur, enterbe mich‹, wird er zu mir sagen. Würde er das nicht tun, würde er sich selbst als Feigling betrachten.«
»Das stimmt«, sagte Maud. Sie war verwirrt. Dieser schreckliche alte Mann sah die Wahrheit klarer als sie.
Otto fuhr fort: »Also müssen Sie die Beziehung beenden.«
Es traf sie wie ein Stich ins Herz. »Nein!«
»Das ist die einzige Möglichkeit, Walters Zukunft zu retten. Sie müssen ihn aufgeben.«
Maud öffnete den Mund, um zu protestieren, erkannte dann aber, dass der alte Mann recht hatte.
Otto beugte sich vor und fragte mit Nachdruck: »Werden Sie die Beziehung mit ihm beenden?«
Maud liefen Tränen über die Wangen. Sie wusste, was sie tun musste. Sie durfte Walters Leben nicht zerstören, nicht einmal um der Liebe willen. »Ja«, sagte sie schluchzend. Ihre Würde war dahin, aber das war ihr egal; der Schmerz war schier unerträglich. »Ja, ich werde die Beziehung beenden.«
»Versprechen Sie es mir?«
»Ja, ich verspreche es.«
Otto stand auf. »Danke, dass Sie mir zugehört haben.« Er verbeugte sich. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.« Er ging hinaus.
Maud vergrub das Gesicht in den Händen.
Kapitel 8
Mitte Juli 1914
In Ethels Haushälterinnenschlafzimmer auf Ty Gwyn gab es einen alten kippbaren Standspiegel. Der Holzrahmen knarrte, und das Glas war trüb, aber man konnte sich in ganzer Größe darin sehen. Für Ethel war er ein Luxus.
Sie betrachtete sich in dem Spiegel, als sie in Unterwäsche davorstand. Seit sie sich verliebt hatte, schien sie üppiger geworden zu sein. Sie hatte an Hüften und Taille ein wenig zugenommen, und ihre Brüste wirkten größer, vielleicht, weil Fitz sie so oft streichelte und drückte. Als sie an ihn dachte, schmerzten ihre Brustwarzen.
Fitz war an diesem Morgen mit Fürstin Bea und Lady Maud eingetroffen und hatte Ethel zugeflüstert, sie würden sich nach dem Mittagessen in der Gardeniensuite treffen. Ethel hatte Maud im Rosa Zimmer untergebracht und es damit entschuldigt, dass in der Suite, die Maud üblicherweise bezog, die Bodenbretter repariert werden müssten.
Ethel war in ihr Zimmer gegangen, um sich zu waschen und frische Unterwäsche anzuziehen. Sie liebte es, sich so für Fitz herzurichten, und konnte es kaum erwarten, dass er sie berührte und küsste. Sie malte sich aus, wie er vor Verlangen und Wonne stöhnte, dachte an seinen Duft und das sinnliche Gefühl, wenn seine Kleidung ihr über die Haut strich.
Als Ethel eine Schublade öffnete, um frische Strümpfe herauszunehmen, fiel ihr Blick auf einen Stapel sauberer weißer Baumwollstreifen – die Binden, die sie benutzte, wenn sie ihre Periode hatte. Ihr fiel ein, dass sie die Binden nicht gewaschen hatte, seit sie in dieses Zimmer gezogen war. Unversehens packte sie eisiges Entsetzen, und sie ließ sich schwerfällig auf das schmale Bett sinken. Es war Mitte Juli. Mrs. Jevons hatte das Zimmer Anfang Mai geräumt, vor ungefähr zehn Wochen. Während dieser Zeit hätte Ethel die Binden zweimal brauchen müssen.
»Nein«, sagte sie laut. »O Gott, nein.«
Ethel zwang sich, in Ruhe nachzudenken, und es gelang ihr, den zeitlichen Ablauf zu rekonstruieren: Der Besuch des Königs war im Januar gewesen. Sie, Ethel, war gleich darauf zur Haushälterin befördert worden, aber Mrs. Jevons war noch zu krank gewesen, um auszuziehen. Im Februar war Fitz nach Russland gereist und im März zurückgekehrt; danach hatten sie sich zum ersten Mal richtig geliebt. Im April war Mrs. Jevons wieder bei Kräften gewesen, und Fitz’ Anwalt, Albert Solman, war aus London angereist, um ihre Rentenangelegenheiten zu regeln. Anfang Mai schließlich hatte Mrs. Jevons Ty Gwyn verlassen, und unmittelbar danach war Ethel in dieses Zimmer eingezogen und hatte den kleinen Stapel weißer Baumwollstreifen in die Schublade gelegt.
Es war zehn Wochen her, sosehr sie auch hin und her rechnete.
Wie oft hatten sie und Fitz sich in der Gardeniensuite getroffen? Wenigstens acht Mal, und nicht immer waren sie vorsichtig gewesen. Sie war so glücklich gewesen, mit ihm zu schlafen, dass sie in ihrer Ekstase die Augen vor der Gefahr verschlossen hatte. Und nun hatte es sie erwischt.
»Gott vergib mir«, sagte sie laut.
Sie musste an ihre Freundin Dilys Pugh denken, die sich ebenfalls ein Kind hatte machen lassen. Dilys hatte als Hausmädchen für
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