Sturz der Titanen
möglicherweise im Krieg. Wenn wir nicht wegen Serbien in den Kampf ziehen, werden wir einen anderen Casus Belli finden. Früher oder später müssen Deutschland und Großbritannien um die Vorherrschaft in Europa kämpfen.«
»Es tut mir leid, dass Sie so pessimistisch sind.«
»Viele denken genauso.«
»Aber die Wahrheit wird nicht von einem Mehrheitsvotum bestimmt«, zitierte Maud Ottos eigene Worte.
Otto schaute verärgert drein. Offensichtlich erwartete er von ihr, dass sie ihm schweigend zuhörte. Und noch weniger gefiel es ihm, verspottet zu werden. Ungehalten sagte er: »Sie sollten mir lieber zuhören, denn was ich sage, betrifft auch Sie persönlich. Die meisten Deutschen betrachten Großbritannien als Feind. Wenn Walter eine Engländerin heiraten würde … Denken Sie doch nur über die Folgen nach!«
»Das habe ich bereits. Walter und ich haben ausführlich darüber gesprochen und sind der Ansicht …«
»Erstens«, unterbrach Otto sie, »würde er sich meine Missbilligung zuziehen. Eine englische Schwiegertochter könnte ich unmöglich in meiner Familie willkommen heißen.«
»Walter meint, Ihre Liebe zu ihm wird Ihnen helfen, Ihre Abneigung gegen mich zu überwinden. Oder ist das unmöglich?«
»Zweitens«, fuhr Otto fort, ohne auf Mauds Frage einzugehen, »würde seine Treue zum Kaiser infrage gestellt. Männer von Walters eigenem Rang und Ansehen würden ihm die Freundschaft aufkündigen. Er und seine Frau würden nicht mehr in den besten Häusern verkehren.«
Nun wurde auch Maud wütend. »Das kann ich nicht glauben. Nicht alle Deutschen können so engstirnig sein.«
Otto tat so, als würde er ihre Frechheit nicht bemerken. »Drittens geht es um Walters Karriere im Auswärtigen Amt. Er wird sich bewähren. Ich habe ihn auf Schulen und Universitäten in verschiedenen Ländern geschickt. Er spricht perfekt Englisch und passabel Russisch. Trotz seiner unreifen und idealistischen Ansichten halten seine Vorgesetzten große Stücke auf ihn. Sogar der Kaiser hat mehr als einmal freundlich zu ihm gesprochen. Eines Tages könnte er Außenminister sein.«
»Er ist brillant.«
»Aber wenn er Sie heiratet, ist seine Karriere ruiniert.«
»Das ist lächerlich!«, sagte Maud erzürnt.
»Meine liebe, junge Lady Maud, einem Mann, der mit einem Feind verheiratet ist, kann man nicht vertrauen.«
»Auch darüber haben Walter und ich gesprochen. Seine Treue würde nach wie vor Deutschland gelten. Meine Liebe zu Walter ist groß genug, dass ich damit leben könnte.«
»Walter könnte so sehr um die Familie seiner Frau besorgt sein, dass er seinem Heimatland nicht mehr von ganzem Herzen zu dienen vermag. Und selbst wenn dem nicht so wäre, könnte man ihm eine solche Haltung unterstellen.«
»Sie übertreiben«, sagte Maud, doch ihr Selbstvertrauen geriet immer mehr ins Wanken.
»Meinen Sie? Auf jeden Fall könnte er in keinem Bereich mehr arbeiten, in dem es um Geheimhaltung geht. Niemand würde in seinem Beisein vertrauliche Informationen diskutieren. Er wäre am Ende.«
»Er muss ja nicht im Militärnachrichtendienst arbeiten. Er kann sich anderen Gebieten der Diplomatie zuwenden.«
»Diplomatie verlangt in allen Bereichen nach Geheimhaltung. Und dann wäre da auch noch meine Position zu bedenken.«
Maud war überrascht. Sie und Walter hatten gar nicht an Ottos Karriere gedacht.
»Ich bin ein enger Vertrauter Seiner Majestät. Würde er mir weiterhin sein volles Vertrauen schenken, wenn mein Sohn mit einer feindlichen Ausländerin verheiratet ist?«
»Das sollte er.«
»Und er würde es vielleicht, wenn ich entschlossen handle und meinen Sohn enterbe.«
Maud schnappte nach Luft. »Das können Sie nicht tun.«
Otto hob die Stimme. »Ich wäre dazu verpflichtet!«
Maud schüttelte den Kopf. »Sie könnten auch anders entscheiden«, sagte sie verzweifelt. »Ein Mann hat immer eine Wahl.«
»Ich werde nicht alles opfern, was ich mir erkämpft habe – meine Position, meine Karriere, den Respekt meiner Landsleute – für ein Mädchen «, sagte Otto verächtlich.
Maud fühlte sich, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen.
Otto fuhr fort: »Aber Walter würde es tun.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Wenn Walter Sie heiratet, verliert er seine Familie, sein Land und seine Karriere. Aber er würde es tun. Er hat seine Liebe zu Ihnen erklärt, ohne über die Konsequenzen nachgedacht zu haben. Früher oder später wird er begreifen, was für einen katastrophalen Fehler er begangen hat. Aber er
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