Sturz der Titanen
sein musste.«
»Wie auch immer, jetzt ist er ein erwachsener Mann, und er gibt keine Kopeke für dich oder mich. Er hat deinen Pass genommen, deinen Fahrschein und dein Geld und uns nur sein Kind gelassen.«
Katherina hatte recht. Lew war immer selbstsüchtig gewesen. »Man liebt seine Familie nicht, weil sie freundlich und rücksichtsvoll ist. Man liebt sie, weil sie eben Familie ist.«
»Jetzt gönn dir doch mal was«, sagte Katherina verärgert. »Morgen musst du zur Armee. Wenn du stirbst, willst du doch nicht bereuen, dass du mich nicht gefickt hast, wo du die Gelegenheit hattest, oder?«
Es war eine beinahe unwiderstehliche Versuchung für Grigori. Auch wenn Katherina angetrunken war – ihr Körper war warm und einladend. Und hatte er nicht das Recht auf eine Nacht voller Seligkeit?
Katherina strich mit der Hand sein Bein hinauf und packte sein steifes Glied. »Komm schon. Du hast mich geheiratet, da kannst du ruhig dein Recht einfordern.«
Genau da lag das Problem. Katherina liebte ihn nicht. Sie bot sich ihm als Bezahlung an für das, was er getan hatte. Das war Prostitution. Grigori fühlte sich beleidigt – so sehr, dass es an Wut grenzte. Und dass er sich danach verzehrte, der Versuchung nachzugeben, machte alles nur noch schlimmer.
Katherina rieb sein Glied. Wütend und erregt zugleich stieß Grigori sie von sich – heftiger, als er beabsichtigt hatte.
Katherina fiel aus dem Bett und schrie vor Zorn und Schmerz auf.
Das hatte Grigori nicht gewollt, doch er war zu wütend, um sich zu entschuldigen.
Katherina saß auf dem Boden, weinte und fluchte zugleich. Grigori widersetzte sich dem Impuls, ihr zu helfen. Schließlich rappelte sie sich auf und stand da, schwankend vom Wodka. »Du Schwein!«, schrie sie. »Wie kannst du nur so grausam sein!« Sie strich ihr Kleid glatt und bedeckte ihre wunderschönen Beine. »Was ist das für eine Hochzeitsnacht, in der der Mann seine Frau aus dem Bett wirft?«
Ihre Worte trafen Grigori mitten ins Herz, doch er rührte sich nicht und schwieg.
»Ich hätte nie gedacht, dass du so hartherzig sein kannst!«, keifte Katherina. »Fahr zur Hölle!« Sie schnappte sich ihre Schuhe, riss die Tür auf und stürmte aus dem Zimmer.
Grigori fühlte sich hundeelend. An seinem letzten Tag als Zivilist hatte er sich mit der Frau gestritten, die er anbetete. Sollte er jetzt in der Schlacht fallen, würde er als unglücklicher Mann sterben. Was für eine verdammte Welt. Was für ein jämmerliches Leben.
Er stand auf, um die Tür zu schließen. Dabei hörte er Katherina im Nebenzimmer, die den anderen mit trunkener Fröhlichkeit zurief: »Grigori ist so besoffen, dass er ihn nicht mehr hochkriegt. Gebt mir Wodka und lasst uns tanzen!«
Grigori schlug die Tür zu und warf sich aufs Bett.
Am nächsten Morgen erwachte Grigori in aller Frühe aus unruhigem Schlaf. Er wusch sich, zog seine Uniform an und aß ein paar Bissen Brot.
Als er den Kopf ins Zimmer der Frauen steckte, sah er, dass alle tief und fest schliefen. Der Boden war mit Flaschen übersät, und die Luft stank nach Tabakrauch und schalem Bier. Grigori starrte auf Katherina, die mit offenem Mund schlief. Dann verließ er das Haus, ohne zu wissen, ob er Katherina jemals wiedersehen würde. Doch er versuchte sich einzureden, dass es ihm egal sei.
Bald aber hellte seine Stimmung sich auf. Ein wenig ängstlich, aber auch voller gespannter Erwartung, fieberte er der Ankunft bei seinem Regiment entgegen, wo man ihn mit einer Waffe und Munition ausstatten würde. Doch erst einmal musste er den richtigen Zug finden und seine neuen Kameraden kennenlernen. Er schob die Gedanken an Katherina beiseite und konzentrierte sich ganz auf das Hier und Jetzt.
Zusammen mit Isaak und ein paar Hundert weiteren Reservisten stieg er bald darauf in den Zug, bekleidet mit einem neuen graugrünen Uniformhemd und dunkelblauer Hose. Wie alle anderen war auch Grigori mit einem Gewehr vom Typ Mosin-Nagant bewaffnet, das mit aufgepflanztem Bajonett so groß war wie er selbst. Die blauen Flecken, die der schwere Eichenholzhammer hinterlassen hatte, bedeckte die eine Hälfte seines Gesichts und ließ die anderen Männer glauben, er sei ein Straßenschläger, sodass sie ihn mit vorsichtigem Respekt behandelten. Der Zug dampfte aus Sankt Petersburg hinaus und ratterte über Felder und durch Wälder.
Die untergehende Sonne war die ganze Zeit vor ihnen, ein Stück nach rechts versetzt. Also fuhren sie in Richtung Südwesten, nach Deutschland.
Weitere Kostenlose Bücher