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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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dem Absatz seines schweren Bergarbeiterschuhs gegen die Tür. Es krachte und splitterte. Billy trat noch mehrmals zu, aber die Tür ließ sich noch immer nicht öffnen.
    Wenn er nur einen Hammer dabeihätte!
    Billy blickte die Straße hinauf und hinunter in der Hoffnung, einen Handwerker mit Werkzeug zu sehen, doch bis auf zwei Jungen mit schmutzigen Gesichtern, die ihn gespannt beobachteten, war niemand zu sehen.
    Er ging den kurzen Weg zum Gartentor, drehte sich um, rannte auf die Tür zu und rammte sie mit der rechten Schulter. Krachend flog sie auf. Billy stürzte ins Haus, rappelte sich auf, rieb sich die schmerzende Schulter und drückte die aufgebrochene Tür zu. Im Haus war es still. »Eth?«, rief er. »Wo bist du?«
    Das Stöhnen setzte wieder ein, und Billy folgte dem Geräusch in das vordere Zimmer im Erdgeschoss. Es war das Schlafzimmer einer Frau mit Nippsachen auf dem Kaminsims und einem geblümten Vorhang am Fenster. Auf dem Bett war Ethel. Sie trug ein graues Kleid, das sie wie ein Zelt bedeckte. Sie lag nicht etwa, sondern hockte auf Händen und Knien und stöhnte.
    »Was ist denn los, Eth?«, fragte Billy mit vor Angst kieksender Stimme.
    Ethel holte Luft. »Das Kind kommt.«
    »Ach du je! Ich hol ’nen Doktor.«
    »Zu spät, Billy. Herr Jesus, tut das weh!«
    »O Gott, du stirbst mir hier doch nicht weg?«
    »Nein, Billy … Kinderkriegen ist nun mal so. Komm her und halte meine Hand.«
    Billy kniete sich neben das Bett, und Ethel umschloss seine Finger mit der Hand. Sie stöhnte wieder auf und verstärkte den Griff. Das Stöhnen war länger und schmerzvoller als zuvor, und sie umfasste Billys Hand so fest, dass er Angst bekam, sie könnte ihm die Knochen brechen. Ihr Stöhnen endete mit einem Aufschrei. Dann keuchte sie, als wäre sie eine Meile gerannt.
    Nach einer Weile sagte sie: »Tut mir leid, Billy, aber du musst mir unter den Rock gucken.«
    »Oh!«, rief er. »Ja, klar, versteh schon.« In Wahrheit verstand er gar nichts, hielt es aber für besser zu tun, was ihm gesagt wurde. Er hob den Saum von Ethels Kleid. »Ach du je!«, rief er. Das Bettlaken unter ihr war blutgetränkt. Mitten in der Lache lag etwas Kleines, Rosiges, das von Schleim bedeckt war. Billy erkannte einen großen runden Kopf mit geschlossenen Augen, zwei winzige Arme und zwei Beine. »Da is’ ein Baby!«, rief er.
    »Heb es hoch, Billy«, keuchte Ethel.
    »Was, ich?«, fragte er. »Ja … na gut.« Er beugte sich übers Bett. Eine Hand schob er unter den Kopf des Säuglings, die andere unter seinen winzigen Po. Er sah, dass es ein Junge war. Das Baby war schleimig und glitschig, aber Billy gelang es, den Kleinen aufzuheben. Eine Schnur verband ihn noch immer mit Ethel.
    »Hast du es?«, fragte sie.
    »Aye«, sagte er. »Ich hab ihn. Es ist ein Junge.«
    »Atmet er?«
    »Weiß nicht. Woran sehe ich das?« Billy kämpfte gegen die Panik. »Nee, der atmet nicht … glaub ich jedenfalls.«
    »Klatsch ihm auf den Po, aber nicht zu fest.«
    Billy drehte das Baby um, hielt es vorsichtig mit einer Hand und schlug ihm aufs Hinterteil. Augenblicklich öffnete der Säugling den Mund, holte Luft und schrie protestierend. Billy war entzückt. »Nun guck dir das an!«, rief er.
    »Halte ihn kurz fest, bis ich mich umgedreht habe.« Ethel brachte sich in eine sitzende Haltung und zog ihr Kleid herunter. »Jetzt gib ihn mir.«
    Billy reichte ihn vorsichtig weiter. Ethel hielt das Kind in der Armbeuge und wischte sein Gesicht mit dem Ärmel sauber. »Er ist wunderschön«, sagte sie.
    Billy war sich da nicht so sicher.
    Die Schnur am Nabel des Säuglings war blau und glatt gewesen, aber jetzt verschrumpelte sie und wurde blass. Ethel sagte: »Guck mal in die Schublade da drüben und gib mir die Garnrolle und die Schere.«
    Ethel band die Nabelschnur mit zwei Knoten ab und schnitt sie zwischen den Knoten durch. »So«, sagte sie. Sie knöpfte ihr Kleid über dem Busen auf. »Das braucht dir jetzt nicht mehr peinlich sein nach allem, was du schon gesehen hast.« Sie nahm eine Brust heraus und steckte dem Baby die Brustwarze in den Mund. Der Kleine begann zu saugen.
    Sie hatte recht: Billy war es nicht peinlich. Noch vor einer Stunde wäre er beim Anblick der nackten Brust seiner Schwester zur Salzsäule erstarrt, doch jetzt erschien ihm ein derartiges Schamgefühl unangebracht. Er empfand nichts als grenzenlose Erleichterung, dass es dem Baby gut ging. Er ließ es nicht aus den Augen, beobachtete es beim Trinken und bestaunte die

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