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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Katherina sprang auf und warf sich ihm in die Arme. »Du lebst!«, sagte sie und küsste ihn leidenschaftlich. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich weiß nicht, was wir ohne dich tun würden.«
    »Es tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte«, sagte Grigori. »Aber ich bin jetzt Sowjetdeputierter.«
    »Deputierter!« Katherina strahlte stolz. »Mein Mann!« Sie drückte ihn an sich.
    Grigori bemerkte, dass er sie tatsächlich beeindruckt hatte. Das war noch nie der Fall gewesen. »Ein Deputierter ist bloß der Repräsentant des Volkes, das ihn gewählt hat«, erklärte er bescheiden.
    »Aber das Volk wählt immer die Klügsten und Zuverlässigsten.«
    »Nun ja, sie versuchen es zumindest.«
    Das Zimmer wurde schummrig von einer Öllampe beleuchtet. Grigori legte ein Paket auf den Tisch. Dank seines neuen Status hatte er keine Probleme, an Essen aus der Kasernenküche zu kommen. »Da sind auch ein paar Streichhölzer und eine Decke«, sagte er.
    »Danke.«
    »Ich hoffe, du bist im Haus geblieben. Auf den Straßen ist es immer noch gefährlich. Ein paar von uns machen Revolution, aber andere führen sich auf wie Tiere.«
    »Ich war kaum draußen. Ich habe darauf gewartet, von dir zu hören.«
    »Wie geht es unserem kleinen Jungen?« Wladimir schlief in der Ecke.
    »Er vermisst seinen Vater.«
    Sie meinte Grigori. Es war zwar nicht Grigoris Wunsch, dass Wladimir ihn Vater nannte, doch er hatte Katherinas Willen akzeptiert. Es war sehr unwahrscheinlich, dass einer von ihnen Lew je wiedersehen würde – seit über drei Jahren hatten sie kein Wort mehr von ihm gehört –, also würde Wladimir wohl nie die Wahrheit erfahren. Vielleicht war das auch besser so.
    »Tut mir leid, dass er schläft«, sagte Katherine. »Er sieht dich so schrecklich gerne.«
    »Ich spreche morgen früh mit ihm.«
    »Du kannst über Nacht bleiben? Das ist ja wunderbar!«
    Grigori setzte sich, und Katherina kniete sich vor ihn und zog ihm die Stiefel aus. »Du siehst müde aus«, bemerkte sie.
    »Das bin ich auch.«
    »Lass uns ins Bett gehen. Es ist spät.«
    Sie öffnete sein Hemd, und er lehnte sich zurück. »General Chabalow versteckt sich in der Admiralität«, sagte er. »Wir hatten Angst, er würde die Bahnhöfe zurückerobern, aber er hat es nicht einmal versucht.«
    »Warum nicht?«
    Grigori zuckte mit den Schultern. »Feigheit. Der Zar hat Iwanow befohlen, auf Petrograd zu marschieren und eine Militärregierung einzusetzen, doch Iwanows Männer haben gemeutert, und die Aktion wurde abgeblasen.«
    Katherina runzelte die Stirn. »Hat die alte herrschende Klasse einfach aufgegeben?«
    »Sieht so aus. Seltsam, nicht wahr? Aber es wird offensichtlich nicht zur Konterrevolution kommen.«
    Sie gingen ins Bett, Grigori in Unterwäsche, Katherina noch immer im Kleid. Sie hatte sich noch nie nackt vor ihm gezeigt. Es war eine Eigenart von ihr, die er akzeptiert hatte.
    »Was wird als Nächstes geschehen?«, fragte sie.
    »Es wird eine Verfassunggebende Versammlung geben, gewählt nach dem viergleisigen Wahlrecht.«
    »Was bedeutet ›viergleisig‹?«
    »Universal, direkt, geheim und gleich. In der Zwischenzeit beruft die Duma eine Provisorische Regierung.«
    »Wer wird sie führen?«
    »Lwow.«
    Katherina setzte sich auf. »Ein Fürst? Warum denn das?«
    »Sie wollen das Vertrauen aller Klassen.«
    »Zum Teufel mit allen Klassen!« Katherinas Empörung machte sie noch schöner, als sie ohnehin schon war, denn der Zorn brachte Farbe in ihre Wangen und ließ ihre Augen funkeln. »Die Arbeiter und Soldaten haben die Revolution gemacht! Was brauchen wir da das Vertrauen anderer?«
    Diese Frage hatte auch Grigori schon beschäftigt, doch die Antwort hatte ihn überzeugt. »Wir brauchen Großbürger, um die Fabriken wieder zu öffnen, und Großhändler, um die Stadt zu versorgen. Und auch die Kaufleute müssen ihre Läden wieder aufmachen.«
    »Und was ist mit dem Zaren?«
    »Die Duma verlangt seine Abdankung. Sie haben zwei Delegierte nach Pskow geschickt, um es ihm zu sagen.«
    Katherina riss die Augen auf. »Abdankung? Der Zar? Aber das wäre das Ende.«
    »Ja.«
    »Ist das möglich?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Grigori. »Morgen werden wir es herausfinden.«

    Am Freitag verlief die Debatte im Katherinensaal des Taurischen Palasts vollkommen planlos. Zwei-, dreitausend Männer und ein paar Frauen drängten sich im Saal. Die Luft war voller Tabakrauch und dem Geruch ungewaschener Soldatenleiber. Alle warteten, was der Zar

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