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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mich bestechen?«, fragte er empört.
    »Bestimmt nicht«, antwortete Walter. »Wir müssen Sie nicht bestechen. Ihre Ziele stimmen mit unseren überein. Sie fordern den Sturz der Provisorischen Regierung und ein Ende des Krieges.«
    »Wofür ist das Geld dann?«
    »Für Propaganda. Um Ihnen zu helfen, Ihre Botschaft zu verbreiten. Auch wir wollen diese Botschaft verbreitet sehen. Frieden zwischen Deutschland und Russland.«
    »Damit Sie Ihren kapitalistisch-imperialistischen Krieg gegen Frankreich gewinnen können!«
    »Wie ich bereits sagte, helfen wir Ihnen nicht aus Menschenfreundlichkeit … und das erwarten Sie wohl auch kaum von uns. Hier geht es allein um praktische Politik. Im Augenblick stimmen Ihre Interessen mit unseren überein, das ist alles.«
    Lenin schaute genauso drein wie früher am Tag, als Radek ihn gezwungen hatte, sich neue Kleidung zuzulegen: Er hasste die Vorstellung, konnte aber nicht leugnen, dass es gute Gründe dafür gab.
    Walter fuhr fort: »Wir werden Ihnen jeden Monat noch einmal die gleiche Summe zukommen lassen … natürlich nur so lange, wie Sie aktiv den Frieden fördern.«
    Es folgte ein längeres Schweigen.
    Dann sagte Walter: »Sie haben gesagt, der Erfolg der Revolution sei das einzige Maß für richtig oder falsch. Wenn das stimmt, sollten Sie das Geld nehmen.«
    Draußen auf dem Bahnsteig schrillte eine Pfeife.
    Walter erhob sich. »Ich muss jetzt gehen. Auf Wiedersehen und viel Glück.«
    Lenin starrte auf den Koffer, antwortete aber nicht.
    Walter verließ das Abteil und stieg aus.
    Auf dem Bahnsteig drehte er sich noch einmal um und schaute zu Lenins Abteil. Beinahe rechnete er damit, dass das Fenster aufgerissen wurde und der Koffer herausgeflogen kam.
    Wieder ertönte ein Pfiff, gefolgt von einem Zugsignal. Die Waggons ruckten und setzten sich in Bewegung. Langsam dampfte der Zug aus dem Bahnhof … mit Lenin, den anderen russischen Exilanten und dem Geld.
    Walter zog ein Taschentuch aus der Brusttasche und wischte sich die Stirn ab. Trotz der Kälte schwitzte er.

    Walter ging vom Bahnhof am Ufer entlang zum Grand Hotel. Es war dunkel, und von der Ostsee wehte ein kalter Wind. Walter hätte sich eigentlich freuen sollen: Er hatte Lenin bestochen! Stattdessen empfand er ein schales Gefühl. Und dass er nichts von Maud gehört hatte, deprimierte ihn mehr, als es der Fall hätte sein sollen. Es konnte ein Dutzend Gründe dafür geben, weshalb sie ihm keinen Brief geschickt hatte. Er durfte nicht gleich das Schlimmste annehmen. Aber er war so nahe daran gewesen, sich in Monika zu verlieben – warum sollte Maud es nicht genauso ergangen sein? Walter befürchtete, dass sie ihn vergessen hatte. Er beschloss, sich an diesem Abend zu betrinken.
    An der Rezeption reichte man ihm eine maschinengeschriebene Notiz:
    Melden Sie sich bitte in Suite 201. Dort hat jemand eine Nachricht für Sie.
    Walter nahm an, dass ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts auf ihn wartete. Vielleicht hatten sie ja beschlossen, Lenin doch nicht zu unterstützen. Nun, dafür war es jetzt zu spät.
    Walter stieg die Stufen hinauf und klopfte an die Tür von Suite 201. Drinnen fragte eine gedämpfte Stimme auf Deutsch: »Ja?«
    »Walter von Ulrich.«
    »Kommen Sie herein. Es ist offen.«
    Walter trat ein und schloss die Tür hinter sich. Die Suite wurde schummrig von Kerzen erhellt. »Jemand hat eine Nachricht für mich?« Walter blinzelte ins Zwielicht.
    Eine Gestalt erhob sich von einem Stuhl. Es war eine Frau; sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, doch irgendetwas an ihr ließ sein Herz einen Schlag aussetzen. Sie drehte sich zu ihm um.
    Es war Maud.
    Walter klappte der Mund auf. Es verschlug ihm die Sprache.
    »Hallo, Walter«, sagte Maud.
    Dann war ihre Selbstbeherrschung dahin, und sie warf sich ihm in die Arme.
    Ihr vertrauter Duft stieg ihm in die Nase. Er küsste ihr Haar und strich ihr über den Rücken. Sprechen konnte er nicht aus Angst, in Tränen auszubrechen. Er drückte sie an sich und konnte kaum glauben, dass sie es wirklich war, dass er sie tatsächlich in den Armen hielt und berührte – sie, nach der er sich fast drei Jahre lang verzehrt hatte. Maud blickte zu ihm auf. In ihren Augen schimmerten Tränen. Walter musterte ihr Gesicht, sog den Anblick in sich auf. Maud war genau so, wie er sie in Erinnerung hatte, und doch anders: dünner, mit feinen Fältchen unter den Augen. Aber da war noch immer dieser vertraute, feste, kluge Blick.
    Sie sagte auf Englisch: »Betrachtet er so prüfend

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