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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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argwöhnte, Walter könnte Deutscher sein: Das hätte Scherereien bedeutet.
    Maud konnte nicht die Hände von Walter lassen. Sie war unaussprechlich dankbar, dass er heil und unversehrt heimgekehrt war. Mit der Fingerspitze zeichnete sie die lange Narbe an seinem Schienbein nach.
    »Die habe ich mir bei Château-Thierry geholt«, sagte Walter.
    »Gus Dewar hat auch an dieser Schlacht teilgenommen. Ich hoffe, dass nicht ausgerechnet er dich angeschossen hat.«
    »Wohl kaum. Ich hatte Glück, dass die Wunde so gut verheilt ist. Viele Männer sind am Brand gestorben.«
    Seit ihrem Wiedersehen waren drei Wochen vergangen. Während dieser Zeit hatte Walter rund um die Uhr an der deutschen Antwort auf den Vertragsentwurf gearbeitet und sich jeden Tag nur eine halbe Stunde freimachen können – Zeit, die er nutzte, um mit Maud durch den Park zu spazieren oder sich mit ihr im Fond von Fitz’ blauem Cadillac vom Chauffeur umherfahren zu lassen.
    Maud war über die harten Bedingungen, die Deutschland gestellt wurden, genauso entsetzt wie Walter. Das Ziel der Pariser Konferenz war, eine gerechte und friedvolle neue Welt zu schaffen, und nicht, es den Siegern zu ermöglichen, sich an den Verlierern zu rächen. Das neue Deutschland sollte demokratisch und wohlhabend sein. Maud wollte Kinder mit Walter, und ihre Kinder wären Deutsche. Oft dachte sie an den Abschnitt im Buch Ruth, der mit den Worten begann: »Wo du hingehst, dahin gehe auch ich.« Früher oder später würde sie diesen Satz zu Walter sagen müssen.
    Maud war bei Weitem nicht die Einzige, die den Entwurf des Vertrages missbilligte und den Frieden für wichtiger hielt als Vergeltung. Aus Protest gegen die Vertragsbedingungen waren zwölf Mitglieder der amerikanischen Delegation zurückgetreten. In einer britischen Nachwahl hatte der Kandidat gewonnen, der für einen Frieden ohne Rache eintrat. Der Erzbischof von Canterbury hatte öffentlich verkündet, ihm sei »sehr unbehaglich«, und er werde für eine »stille Fraktion« sprechen, die in den Hunnen hassenden Zeitungen nicht vertreten war.
    Am Vortag hatten die Deutschen ihren Gegenvorschlag eingereicht – mehr als einhundert Seiten scharfsinnige Argumentation, die auf Wilsons Vierzehn Punkten beruhte. An diesem Morgen schäumte die französische Presse vor Wut und nannte das Dokument ein Monument der Frechheit und ein anrüchiges Stück Possenreißerei.
    »Ausgerechnet die Franzosen bezichtigen uns der Arroganz!«, rief Walter zornig. »Wie war das noch gleich mit dem Grautier?«
    »Da nennt ein Esel den anderen Langohr«, sagte Maud.
    Er drehte sich auf die Seite und spielte in ihrem Schamhaar. Es war dunkel und lockig und duftete. Sie hatte ihn gefragt, ob sie es stutzen sollte, doch er mochte es so, wie es war. »Was machen wir heute?«, fragte er. »Es ist romantisch, sich in einem Hotel zu treffen und am Nachmittag miteinander zu schlafen wie bei einer verbotenen Liebschaft, aber wir können nicht ewig so weitermachen. Wir müssen der Welt mitteilen, dass wir Mann und Frau sind.«
    Maud stimmte ihm zu. Sie wartete ungeduldig darauf, jede Nacht mit ihm schlafen zu können, auch wenn sie es nicht sagte: Es war ihr peinlich, wie gern sie Sex mit ihm hatte. »Wir könnten uns einfach ein Haus mieten und alle anderen ihre eigenen Schlüsse ziehen lassen.«
    »Ich weiß nicht recht«, erwiderte Walter. »Am Ende denken die Leute noch, wir würden uns schämen.«
    Maud musste ihm recht geben. Sie wollte ihr Glück hinausrufen und nicht verstecken. Sie war stolz auf Walter: Er sah gut aus, war tapfer und klug. »Wir könnten noch einmal heiraten«, sagte sie. »Uns verloben, das Aufgebot bestellen, uns trauen lassen und niemandem ein Wort davon sagen, dass wir schon fast fünf Jahre verheiratet sind. Den gleichen Menschen zweimal zu heiraten ist schließlich nicht verboten.«
    Walter blickte sie nachdenklich an. »Mein Vater und dein Bruder wären gegen uns. Sie könnten uns nicht aufhalten, aber sie könnten es uns schwer machen, und das würde uns alles verderben.«
    »Du hast recht«, räumte Maud widerstrebend ein. »Fitz würde sagen, dass es unter den Deutschen ganz nette Kerle gibt, dass man deshalb aber noch lange nicht seine Schwester einem von ihnen zur Frau geben muss.«
    »Also müssen wir alle vor vollendete Tatsachen stellen.«
    »Dann lass uns das tun«, sagte Maud. »Wir geben es in der Zeitung bekannt. Wir schreiben, dass es ein Symbol für die neue Weltordnung ist. Eine englisch-deutsche Heirat

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