Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Russlands waren. Die Besucher mochten ja so tun, als wären sie bloß neugierig; in Wahrheit aber sammelten sie militärische Informationen.
    Kanin stellte Grigori vor. »Das ist Peschkow, der Schachmeister der Fabrik.« Kanin gehörte zur Werksleitung, war aber ganz in Ordnung.
    Fitzherbert war charmant. Er sprach mit Warja, einer Frau von gut fünfzig Jahren, die ihr graues Haar unter einem Kopftuch trug. »Wirklich sehr nett, dass Sie uns Ihren Arbeitsplatz zeigen«, sagte er gut gelaunt. Er sprach fließend Russisch, wenn auch mit starkem Akzent. Warja, eine kräftige Frau mit großen Brüsten, kicherte wie ein Schulmädchen.
    Die Demonstration war vorbereitet. Grigori hatte Stahlbarren in den Trichter gelegt und den Schmelzofen angeheizt; nun wurde das Metall verflüssigt. Aber es sollte noch ein weiterer Besucher kommen: die Frau des englischen Earls, angeblich eine Russin. Wahrscheinlich beherrschte der Earl deshalb die Sprache, was für einen Ausländer eher ungewöhnlich war.
    Grigori wollte Dewar gerade nach Buffalo fragen, doch ehe er Gelegenheit dazu hatte, kam die Frau des Earls in die Radfertigung. Ihr bodenlanger Rock war wie ein Besen, der Staub und Eisenspäne vor sich herschob. Über ihrem Kleid trug sie einen kurzen Mantel. In ihrem Kielwasser folgten ein Diener mit einem Pelzmantel über dem Arm, eine Zofe mit einer Tasche sowie einer der Fabrikdirektoren, Graf Malakowski, ein junger Mann, der wie Fitzherbert gekleidet war.
    Malakowski war offensichtlich angetan von seinem Gast. Er lächelte immerzu, sprach mit leiser Stimme zu ihr und nahm oft unnötigerweise ihren Arm. Die Frau des Engländers war aber auch ungewöhnlich hübsch mit ihren blonden Locken und der koketten Art, wie sie ihren Kopf zur Seite legte.
    Grigori erkannte sie sofort. Es war Fürstin Bea.
    Sein Herz setzte einen Schlag aus. Ihm wurde übel. Mit Gewalt unterdrückte er die hässliche Erinnerung aus ferner Vergangenheit. Instinktiv schaute er nach seinem Bruder. Würde Lew sich ebenfalls erinnern? Er war damals erst sechs Jahre alt gewesen. Lew blickte die Fürstin neugierig an, als könne er sie nicht richtig einordnen. Plötzlich veränderte sich seine Miene. Er wurde kreidebleich, dann rot vor Wut.
    Grigori stand bereits neben seinem Bruder. »Bleib ruhig!«, raunte er. »Sag kein Wort. Vergiss nicht: Wir wollen nach Amerika. Da darf uns nichts dazwischenkommen.«
    Lew gab einen angewiderten Laut von sich.
    »Geh in den Stall zurück«, drängte Grigori. Lew war einer der vielen Kutscher in der Fabrik.
    Lew funkelte die ahnungslose Fürstin noch einen Augenblick düster an; dann drehte er sich um und ging. Die Gefahr war gebannt.
    Grigori begann mit der Vorführung. Er nickte Isaak zu, dem Kapitän der Werksfußballmannschaft, der ungefähr in seinem Alter war. Isaak öffnete die Gussform. Dann schleppten er und sein Kollege Varja ein poliertes Holzmodell für ein Rad mit Gießmund heran. Schon dieses Modell zeugte von großem Können. Die Speichen waren elliptisch und liefen zum Rand hin spitz zu. Das Rad gehörte zu einer gigantischen 4-6-4-Lokomotive; deshalb war es fast so groß wie die beiden Männer, die es trugen.
    Sie drückten das Modell in die tiefe, mit einer feuchten, sandigen Mischung gefüllte Gussform. Isaak formte Lauffläche und Gießmund mit einem gusseisernen Kaltmaß aus und zog es schließlich noch einmal über die Form. Dann wurde die Form geöffnet, und Grigori inspizierte den Abdruck, den das Modell hinterlassen hatte. Er entdeckte keine sichtbaren Unregelmäßigkeiten. Anschließend sprühte er die Gussmischung mit einer schwarzen öligen Flüssigkeit ein und schloss die Form wieder. »Treten Sie bitte zurück«, sagte er zu den Besuchern. Isaak drehte die Roheisenpfanne mit dem Schnabel an den Gießmund. Dann zog Grigori langsam an dem Hebel, der die Pfanne kippen ließ.
    Langsam floss geschmolzener Stahl in die Form. Zischend schoss Dampf aus den Lüftungsöffnungen. Grigori wusste aus Erfahrung, wann er die Roheisenpfanne wieder aufrichten und den Stahlfluss stoppen musste. »Im nächsten Schritt wird die Form des Rades perfektioniert«, erklärte er. »Aber da es zu lange dauert, bis das heiße Metall abgekühlt ist, habe ich hier ein Rad, das wir schon früher gegossen haben.«
    Das Rad war bereits in eine Drehmaschine eingespannt. Grigori nickte Konstantin zu, Varjas Sohn, der als Maschinenführer arbeitete. Konstantin war ein schlaksiger Intellektueller, Vorsitzender der bolschewistischen

Weitere Kostenlose Bücher