Sturz der Titanen
gehört, wie sein Vater so etwas gesagt hatte. »Das hatte zur Folge, dass auch Leute in anderen Dörfern ihr Vieh auf Land weiden ließen, das dem Adel gehört. Statt ihre Missetaten zu bereuen, haben diese drei Halunken auch noch ihre Nachbarn zur Sünde verleitet! Deshalb wurden sie nach Recht und Gesetz zum Tode verurteilt.« Er nickte dem Popen zu.
Dieser stieg die Stufen zum Schafott hinauf und sprach leise mit jedem der drei Verurteilten. Der erste nickte schicksalsergeben. Der zweite weinte und begann laut zu beten. Der dritte, Grigoris Vater, spuckte dem Popen ins Gesicht, was aber niemanden schockierte. Die Dörfler hatten allgemein eine schlechte Meinung von ihren Geistlichen. Grigori hatte seinen Vater oft sagen hören, die Popen würden der Polizei alles verraten, was sie in der Beichte zu hören bekamen.
Der Priester stieg die Stufen wieder hinunter, und Fürst Andrej nickte einem seiner Diener zu, der einen schweren Vorschlaghammer in den Händen hielt. Da fiel Grigori zum ersten Mal auf, dass die Verurteilten auf einer klappbaren Plattform standen, die nur von einer einzigen Stütze gehalten wurde, und er erkannte voller Entsetzen, dass der Vorschlaghammer dazu diente, diese Stütze wegzuschlagen.
Jetzt muss der Engel sich aber beeilen, dachte Grigori verzweifelt.
Die Dörfler stöhnten. Die Frauen begannen zu schreien, und diesmal hielten die Soldaten sie nicht davon ab. Der kleine Lew kreischte markerschütternd. Vermutlich verstand er nicht, was nun geschehen sollte, aber die Schreie seiner Mutter machten ihm Angst.
Grigoris Vater zeigte keine Gemütsregung. Sein Gesicht war wie versteinert. Grigori wäre auch gerne so stark gewesen, denn es kostete ihn alle Mühe, Haltung zu wahren. Am liebsten hätte er genauso losgeheult wie der kleine Lew. Die Tränen konnte er zwar nicht zurückhalten, doch er biss sich auf die Lippen und blieb so stumm wie sein Vater.
Der Diener packte nun den Vorschlaghammer mit festem Griff, nahm Maß, riss das schwere Werkzeug in die Höhe und schlug zu. Die Stütze flog durch die Luft. Mit einem Knall klappte die Plattform nach unten. Die drei Männer fielen und zuckten heftig, als ihr Fall abrupt von den Stricken gebremst wurde, die um ihre Hälse lagen.
Grigori konnte nicht wegschauen. Er starrte seinen Vater an. Papa starb nicht sofort. Er öffnete den Mund und versuchte, zu atmen oder zu schreien, konnte aber weder das eine noch das andere. Dann lief sein Gesicht rot an, und er zerrte an seinen Fesseln. Es schien unendlich lange zu dauern, und sein Gesicht wurde immer röter.
Dann nahm seine Haut eine bläuliche Farbe an, und seine Bewegungen wurden schwächer. Schließlich rührte er sich nicht mehr.
Maminkas Schreie verstummten. Sie schluchzte nur noch.
Der Pope betete laut, doch die Dörfler beachteten ihn gar nicht. Einer nach dem anderen wandten sie sich von den drei Toten ab.
Der Fürst und die Fürstin stiegen wieder in ihre Kutsche. Augenblicke später knallte der Mann auf dem Bock mit der Peitsche und raste davon.
Als Grigori seine Geschichte beendete, hatte er sich wieder beruhigt. Er wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf Katherina. Sie hatte ihm in mitfühlendem Schweigen zugehört, war aber nicht schockiert. Vermutlich hatte sie ähnliche Dinge selbst schon gesehen: Hinrichtungen, Auspeitschungen und Verstümmelungen waren alltägliche Strafen in den Dörfern.
Grigori stellte die Schüssel mit warmem Wasser auf den Tisch und suchte sich ein Handtuch. Katherina legte den Kopf zurück, und Grigori hängte die Petroleumlampe an einen Haken an der Wand, damit er besser sehen konnte.
Katherina hatte eine blutende Wunde auf der Stirn und einen blauen Fleck auf der Wange, und ihre Lippen waren geschwollen. Trotzdem verschlug es Grigori den Atem, sie aus dieser Nähe zu sehen. Sie erwiderte seinen Blick offen und furchtlos. Grigori war bezaubert.
Er feuchtete eine Ecke des Handtuchs im warmen Wasser an.
»Vorsichtig, bitte«, sagte Katherina.
»Natürlich.« Grigori wischte ihr behutsam die Stirn ab. Ihre Verletzungen waren zum Glück nur oberflächlich.
»Das fühlt sich schon besser an«, sagte sie.
Sie beobachtete sein Gesicht, während er ihr die Wangen und den Hals wusch. »Den schmerzhaften Teil habe ich bis zum Schluss aufgespart«, sagte er.
»Es wird schon gehen. Sie haben sanfte Hände.« Trotzdem zuckte Katherina unwillkürlich zusammen, als das Handtuch ihre
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