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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wieder einmal. Er konnte sich glücklich schätzen, so einen Bruder zu haben.
    Lew hatte an Bord des Schiffes ein bisschen Geld ergaunert. Zwar kam man mit sieben Rubeln nicht weit, aber Amerika war schließlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Er würde hier ein Vermögen verdienen.
    Gerne hätte er Katherina bei sich gehabt. Lew genoss es jedes Mal, mit einem hübschen Mädchen am Arm durch die Straßen zu spazieren in dem Wissen, dass alle Männer ihn beneideten. Aber hier in Amerika gab es bestimmt genug andere schöne Mädchen.
    Ob Grigori wohl schon von Katherinas Baby erfahren hatte? Kurz überkam Lew ein Gefühl der Reue: Würde er seinen Sohn oder seine Tochter jemals sehen? Na ja, wenigstens musste er sich keine Gedanken darüber machen, dass er Katherina mit dem Kind alleingelassen hatte. Sie würde schon jemanden finden, der sich um sie kümmerte. Sie wusste, wie man überlebte.
    Erst nach Mitternacht legte das Schiff endlich an. Der Kai war nur schwach beleuchtet, und es war niemand zu sehen. Mit ihren Taschen, Koffern und Kisten gingen die Passagiere von Bord der Erzengel Gabriel . Ein Offizier schickte sie zu einem Schuppen mit ein paar Bänken. »Da müsst ihr warten, bis die Beamten von der Einwanderungsbehörde euch morgen früh abholen«, sagte er und bewies damit, dass er doch Russisch sprach.
    Diese wenig verheißungsvolle Ankunft war ernüchternd für die Menschen, die jahrelang gespart hatten, um hierher ins Gelobte Land zu kommen. Die Frauen setzten sich auf die Bänke, und die Kinder schliefen, während die Männer rauchten und auf den Morgen warteten. Nach einiger Zeit hörten sie die Schiffsmaschinen. Lew sah, wie die Erzengel Gabriel langsam wieder ablegte. Vielleicht mussten die Kisten mit den Pelzen ja anderswo entladen werden.
    Lew versuchte sich zu erinnern, was Grigori ihm über die ersten Schritte in der neuen Heimat gesagt hatte. Einwanderer mussten eine medizinische Untersuchung über sich ergehen lassen. Es würden angespannte Minuten sein, denn man schickte jeden zurück, den man als ungeeignet erachtete. Dann wären alle Träume zerplatzt und das viele Geld verloren. Manchmal änderten die Einwanderungsbeamten auch die Namen der Leute, damit Amerikaner sie leichter aussprechen konnten.
    Vor dem Hafen würde ein Vertreter der Wjalow-Familie warten und sie alle mit dem Zug nach Buffalo bringen, wo sie in den Hotels und Fabriken von Mr. Joseph Vyalov arbeiten würden. Lew fragte sich, wie weit Buffalo von New York entfernt war. Würden sie in einer Stunde dort sein oder in einer Woche? Er wünschte sich, er hätte Grigori genauer zugehört.
    Als die Sonne über den Docks aufging, kehrte Lews Aufregung zurück. Er ließ den Blick schweifen. Wie ein dichter Wald erhoben sich die Masten altmodischer Segler und die Schornsteine moderner Dampfer. Es gab große Lagerhäuser und verfallene Schuppen, riesige Ladekräne und mächtige Winden, Leitern, Taue und Karren. Weiter landeinwärts sah Lew lange Reihen von Eisenbahnwaggons, beladen mit Kohle. Es mussten Tausende sein; sie reichten bis zum Horizont. Aber wo war die berühmte Freiheitsstatue? Lew konnte sie nirgends entdecken. Wahrscheinlich stand sie auf der anderen Seite der Landzunge.
    Hafenarbeiter erschienen – erst in kleinen, dann in größeren Gruppen. Schiffe legten ab, andere kamen. Ein Dutzend Frauen machte sich daran, von einem kleinen Schiff, das vor dem Schuppen mit den Einwanderern dümpelte, Kartoffelsäcke auszuladen.
    Spirja kam zu Lew. Er schien vergessen zu haben, dass Lew ihm gedroht hatte. »Scheint so, als hätte die Einwanderungspolizei uns vergessen.«
    »Sieht so aus«, erwiderte Lew.
    »Sollen wir uns ein bisschen umsehen? Vielleicht finden wir jemanden, der Russisch spricht.«
    »Gute Idee.«
    Spirja wandte sich an einen der älteren Männer. »Wir schauen mal nach, was los ist.«
    Der Mann blickte ihn nervös an. »Wir sollten lieber hier bleiben, wie man es uns gesagt hat.«
    Lew und Spirja beachteten ihn nicht. Sie gingen zu den Frauen, die noch immer Kartoffelsäcke von Bord des Schiffes schleppten. Lew setzte sein schönstes Lächeln auf und fragte: »Spricht hier jemand Russisch?« Eine der jüngeren Frauen erwiderte Lews Lächeln, doch seine Frage blieb unbeantwortet. Lew war enttäuscht. Sein Charme war nutzlos, wenn niemand ihn verstand.
    Er und Spirja gingen in die Richtung, aus der die Arbeiter gekommen waren. Niemand schenkte ihnen auch nur die geringste Beachtung. Lew war verwirrt. Was

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