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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Herbergen, wo sie sich billige Zimmer mieten konnten.
    Wie in jeder anderen Stadt gab es auch in Cardiff Tausende von Ställen. Lew eignete sich rasch ein paar Brocken Englisch an, mit denen er den Leuten zu verstehen geben konnte, dass er Erfahrung mit Pferden besaß; dann zog er durch die Stadt und fragte nach Arbeit. Die Leute sahen, wie gut er mit Tieren umgehen konnte, aber selbst aufgeschlossene Arbeitgeber stellten Fragen, und die konnte Lew mit seinem begrenzten Wortschatz nicht beantworten.
    In seiner Verzweiflung stürzte Lew sich noch intensiver auf das Erlernen der englischen Sprache. Nach ein paar Tagen konnte er nach Brot oder Bier fragen und kannte die Preise so gut, dass man ihn nicht übers Ohr hauen konnte. Doch sein Englisch reichte längst nicht aus, um die komplizierten Fragen potenzieller Arbeitgeber beantworten zu können. Vermutlich wollten sie wissen, wo er früher beschäftigt gewesen war und ob er je Ärger mit der Polizei gehabt hatte.
    Lew suchte also wieder das Seemannsheim auf und erklärte dem Russen dort sein Problem. Der Mann gab ihm eine Adresse in Butetown, dem Viertel, das den Docks am nächsten lag, und sagte, er solle nach einem Filip Kowal fragen, genannt »Kowal der Pole«. Kowal erwies sich als undurchsichtiger Zeitgenosse, der ausländische Arbeiter als Billigkräfte vermittelte. Er beherrschte bruchstückhaft die meisten europäischen Sprachen und gab Lew auf Russisch zu verstehen, er solle sich am nächsten Montag um zehn Uhr früh mit seinem Koffer vor dem Bahnhof von Cardiff einfinden.
    Lew war so froh, dass er Kowal nicht einmal fragte, um was für eine Arbeit es eigentlich ging.
    Als er zur verabredeten Zeit vor dem Bahnhof erschien, warteten dort bereits ein paar Hundert Männer, die meisten davon Russen, aber auch Deutsche, Polen, Slawen und ein schwarzhäutiger Afrikaner. Lew war erleichtert, Spirja und Jakow unter den Wartenden zu sehen.
    Sie wurden in den Zug verfrachtet – die Fahrt bezahlte Kowal – und dampften nordwärts durch eine hübsche Berglandschaft. Zwischen den grünen Hügeln lagen die Industriestädte wie dunkle Teiche in den Tälern. In jeder dieser Städte gab es mindestens einen hohen Turm aus Stahl mit riesigen, sich drehenden Rädern an der Spitze. Lew erfuhr, dass in dieser Gegend vor allem Kohle abgebaut wurde. Mehrere Männer im Zug waren Bergleute, andere Handwerker, wieder andere ungelernte Arbeiter.
    Nach gut einer Stunde stiegen alle aus. Als sie sich vor dem Bahnhof aufreihten, erkannte Lew, dass es hier um keinen normalen Job ging: Mehrere Hundert Männer in derber Arbeitskleidung warteten auf dem Platz und musterten die Ankömmlinge mit düsteren Blicken. Zuerst schwiegen die Männer bedrohlich; dann rief einer von ihnen etwas, und die anderen fielen ein. Lew hatte keine Ahnung, was gerufen wurde, doch es war offensichtlich, dass es keine Freundlichkeiten waren. Auch zwanzig oder dreißig Polizisten hatten sich eingefunden. Sie standen vor dem Mob und hielten die Männer hinter einer unsichtbaren Linie zurück.
    Ängstlich fragte Spirja: »Was sind das für Leute?«
    Lew ließ den Blick über die düsteren Gestalten schweifen. »Gedrungen, kräftig, mit harten Gesichtern und sauberen Händen …«, murmelte er. »Ich würde sagen, das sind streikende Bergleute.«
    »Die sehen aus, als wollten sie uns umbringen. Was ist hier los?«
    »Wir sind Streikbrecher«, sagte Lew düster.
    »Mein Gott!«
    Kowal der Pole brüllte »Mir nach!« in verschiedenen Sprachen, und sie marschierten die Hauptstraße hinunter. Der Mob tobte weiter; Männer schüttelten die Fäuste, doch niemand übertrat die von der Polizei gebildete Linie. Lew war noch nie so dankbar gewesen, Polizisten zu sehen. »Das ist ja furchtbar«, sagte er.
    Jakow sagte: »Jetzt weißt du, wie es ist, Jude zu sein.«
    Sie ließen die tobenden Bergleute hinter sich und gingen an Reihenhäusern vorbei einen Hügelhang hinauf. Lew fiel auf, dass viele Häuser leer zu sein schienen. Die Leute starrten sie noch immer wütend an, aber die Beleidigungen hörten auf. Kowal wies den Männern Unterkünfte zu. Lew und Spirja staunten nicht schlecht, als sie ein Haus ganz für sich allein bekamen. Bevor Kowal ging, zeigte er auf die Zeche – den Turm mit den Zwillingsrädern – und sagte ihnen, sie sollten morgen früh um sechs Uhr dort sein. Die ausgebildeten Bergleute würden Kohle abbauen, während die anderen sich um die Stollen und die Geräte kümmern mussten oder – wie in Lews

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