Sturz in den Tod (German Edition)
auf. Und ging damit davon.
Außer Atem ließ Nina sich in den Sand fallen. Haufenwolken zogen am
Himmel entlang und verdeckten immer wieder die Sonne. Nina saß mit dem Rücken
zum Maritim. Sie wollte den Turm nicht mehr sehen, doch das Geräusch der
Bagger, die die Fläche bearbeiteten, auf der bis vor Kurzem das alte Hallenbad
gestanden hatte, drang bis an den Strand und erinnerte sie an den Ort, der ihr
Unglück gebracht hatte.
Ninas Handy klingelte, sie drückte Jans Anruf weg. Eine große Qualle
war ans Ufer gespült worden. Vielleicht lebte sie noch. Hatten Quallen eine
Chance, um ihr Leben zu kämpfen, fragte Nina sich. Sie waren wohl abhängig
davon, dass ihnen jemand zurück ins Wasser half. Nina zog den Glasring vom
Finger. Sie mochte ihn plötzlich nicht mehr. Sie überlegte, ihn ins Wasser zu
werfen, steckte ihn aber in ihre Tasche.
Ein junges Paar ging vorbei und unterhielt sich mit seinen zwei
kleinen Kindern abwechselnd auf Deutsch und Englisch. Gar nicht schlecht,
dachte Nina und musste nun auch noch an ihren Beruf denken, dem sie eigentlich
nachgehen sollte. Woran sollte sie noch alles denken? Sie war so müde von all
dem, das war sie bereits in Hamburg gewesen. Müde von den Akquisebemühungen um
Übersetzungsaufträge, die ihr dann oft viel Arbeit und wenig Geld einbrachten
oder ganz ins Leere liefen. Sie hatte vor ihrer Rückkehr nach Travemünde
deshalb sogar schon überlegt, sich einen zusätzlichen, ganz anderen Job zu
suchen, um finanziell über die Runden zu kommen. Nun war sie in Travemünde, und
anfangs hatte sie den Eindruck gehabt, die Erkrankung ihrer Mutter wäre zur
rechten Zeit gekommen, sodass Nina ihren eigentlichen Problemen für eine Weile
ausweichen konnte. Wenigstens hier war sie gefragt, sah einen Sinn in ihrem
Tun. Doch nun hatte ihr diese Flucht noch größere Probleme eingebracht, als sie
ohnehin schon hatte. Sie war so müde von all dem.
Das Schiff, das die Seebestattungen durchführte, fuhr hinaus. Wurde
die Asche der Toten verstreut? Und flog sie einem da draußen dann ins Gesicht?
Nina wusste es nicht. Das nach dem Tod hatte sie
bisher noch nie interessiert. Ein Bild von lauter Urnen auf dem Meeresgrund,
die sich mit jeder Welle in Richtung Ufer bewegten, drängte sich ihr auf. Sie
ließ sich rücklings in den Sand fallen. Eine große Möwe kreiste über ihr und
hielt einen Moment inne, als wollte sie sich gleich auf Nina hinabstürzen.
Das Handy klingelte. Nina wollte den Anrufer wegdrücken und sah im
letzten Moment, dass es ihre Mutter war.
»Wo steckst du denn?«, fragte sie.
Nina hatte keine Antwort parat.
»Der Herr Schönfeld hat angerufen. Der reist heute an und möchte
gern, dass du vorher mal durchlüftest und nach dem Rechten schaust. Ich habe
gesagt, das geht klar. Das ist aber Stunden her, du warst ja nicht zu
erreichen. Vielleicht ist er nun schon da …«
»Ich gehe gleich hoch«, sagte Nina. »Noch was?«
»Er freut sich immer, wenn man ihm zwei, drei Brötchen mitbringt,
dann muss er nicht gleich los, um einzukaufen. Und Nina, bitte, sei nett zu
ihm, ja? Der scheint noch nichts gehört zu haben von der Sache. Sonst hätte er
sicherlich nicht angerufen.«
Mit einem »bis später« beendete Nina das Gespräch und richtete sich
auf. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Maritim und warf einen langen
Schatten über den Strand bis zum Meer.
Langsam ging Nina in Richtung Turm. Sie wollte dort nicht hin. Sie wollte
nicht nach Hause. Sie würde auf Herrn Schönfeld warten, in der Hoffnung, dass
er ihr etwas über Frau Bergmann erzählen könnte. Noch hatte sie alle Schlüssel,
auch den zu Frau Bergmanns Wohnung. Nina wusste jetzt, wo sie anfangen könnte
zu suchen. Offenbar tat das außer ihr niemand.
Beim Stadtbäcker an der Uferpromenade hielten ein paar Leute ihre
Gesichter in die Sonne, während sie warm gemachte Schoko-Franzbrötchen oder
Wikinger mit Pute kauten. Nina kaufte fünf Knackfrische, weil es darauf
Mengenrabatt gab, und für sich einen Kaffee zum Mitnehmen. Sie setzte sich auf
die Bank neben dem Verkaufsstand. Die alte Toilettenfrau saß wie immer vor dem
Eingang zu den WC s und fütterte die Gruppe Enten, die
sich täglich hier versammelte, weil es hier etwas zu fressen gab. Nina nahm
eins der trockenen Brötchen aus der Tüte, sie kaute es langsam, sie hatte seit
dem Morgen kaum etwas gegessen.
Im Glaskasten am Eingang saß der Pförtner, den sie am nettesten
fand, das erleichterte sie. Er winkte ihr kurz zu und öffnete ihr
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