Sturz in den Tod (German Edition)
von seiner
Loge aus die Automatiktür zum Fahrstuhl. Aus einem der drei Fahrstühle kam der
Mann mit dem bunten, langen Schal heraus, den Nina hier neulich schon mal
gesehen hatte und der, wie sie fand, so wenig hierher passte.
Nina fuhr in das kleine Apartment, das Frau Bergmann gehörte. Sie
hatte das Gefühl, es sei jemand hier gewesen, denn das Fernglas stand nicht
mehr dort, wo sie glaubte, es beim letzten Mal abgestellt zu haben. Vielleicht
täuschte sie sich, denn sie hatte kaum genaue Erinnerungen an den Tag, an dem
das mit Frau Bergmann passiert war. Die Sache , wie
Ninas Mutter es nannte. Die Sache, die dadurch auch Nina passiert war. Sie
beschloss, zunächst in Herrn Schönfelds Apartment zu fahren, um die Brötchen
abzulegen und durchzulüften. Im einunddreißigsten Stockwerk klopfte sie an
seine Tür. Gerade als sie aufschließen wollte, öffnete Herr Schönfeld. Nina
hielt ihm die Brötchentüte entgegen.
»Tut mir leid, eher habe ich es leider nicht geschafft.«
Schönfeld nahm freudig die Tüte entgegen.
»Was siehst du wieder hübsch aus, komm rein!«
Nina wusste nicht, was sie nun noch bei dem alten Mann sollte, und
folgte ihm in die Küche. Schönfeld öffnete eine der Leberwurstdosen, die er
vielleicht schon seit Jahren in seinem Küchenschrank gestapelt hatte. Auch
hatte er sich bereits für seinen Aufenthalt in Travemünde umgezogen und trug
eine dunkelblaue Jacke mit breitem Revers und Seemannswappen, die vielleicht
schon seit er das Apartment besaß in seinem Schrank hing.
»Willst du auch eins?«, fragte Schönfeld und wies auf die Brötchen.
Nina lehnte dankend ab. Schönfeld fragte halbherzig nach, wie es
ihrer Mutter gehe. Nina begann zu berichten. Damit hatte sie dem Mann den
Einsatz gegeben, um von seinen Krankheiten zu erzählen, was er ausgiebig tat.
Nina sah heimlich auf die Uhr. Schönfeld holte seine Brieftasche
hervor.
»Kannst hier ja noch den Balkon sauber machen, dann lohnt es sich
wenigstens für dich.«
Nina holte Schönfelds Besen, Eimer und Lappen. Sie kratzte
Möwenkacke vom Boden des Balkons. Schönfeld stand in der Tür und redete über
seinen grauen Star und die Prostata. Als er damit fertig war, erzählte er Nina,
dass er jetzt öfter nach Travemünde kommen wolle. Er sei dabei, seine gesamten
Mietshäuser in Hamburg zu verkaufen. Er wisse noch gar nicht, was er mit seiner
vielen Zeit anfangen sollte, wenn er nicht mehr Eigentümer und Vermieter wäre.
Und was solle er mit dem vielen Geld anfangen? Er habe ja keine Kinder, keine
Erben. Sein Steuerberater würde von ihm jetzt schon verlangen, dass er
vierzigtausend Euro im Monat ausgeben solle, nur so, fürs Leben. Wie solle das
denn gehen?
Schönfeld ging zurück in die Wohnung und kam mit einer weiteren mit
Leberwurst beschmierten Brötchenhälfte zurück. »Ich meine, mehr als essen kann
man doch nicht. Vierzigtausend Euro im Monat ausgeben. Wie denn? Vielleicht
kann ich dich ja mal zum Essen einladen, ins Fisherman’s zum Beispiel.«
Nina lächelte Schönfeld entgegen, während sie die alten weißen
Plastikstühle abrieb.
»Das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, wie ich das ganze Geld
anlegen soll, das ich für meine Mietshäuser bekomme. Ich meine, das sind fast
fünfzig Wohnungen. Dafür bekomme ich sehr viel Geld, wie du dir vielleicht
vorstellen kannst. Ich meine, die Banken, die geben einem heutzutage doch
nichts mehr. Die paar Zinsen, die sind doch Quatsch.«
Ich kann Ihnen ja meine Kontonummer geben, hätte Nina am liebsten
gesagt. Wut stieg in ihr auf. Oder war es Neid? »Behalten Sie die Häuser doch
noch«, sagte sie.
Schönfeld kaute. »Das Schlimmste ist die Leere. Vor der habe ich am
meisten Angst, wenn ich nichts mehr zu tun habe. Die Leere, die ist das
Schlimmste. Was mache ich dann, ohne Aufgabe? Ich war ja die ganzen Jahre über
nur ein bis zwei Mal im Jahr hier. Aber jetzt werde ich öfter hier sein.
Vielleicht können wir ja mal essen gehen«, wiederholte er, und es klang nicht
wie eine Frage.
Nina sagte »Fertig!«, als sie an dem Mann vorbei in die Küche ging
und das Putzzeug wegräumte. Den Eimer mit dem Wischwasser kippte sie in der
Toilette aus. Das Bad war noch in den Farben der siebziger Jahre gehalten, grün
und beige. Schönfeld kramte aus seiner Brieftasche einen Zehn-Euro-Schein für
Nina hervor.
Sie sah auf den Schein wie auf etwas Schmutziges.
Schönfeld sagte: »Stimmt so. Hast ja auch noch Brötchen geholt.«
Nina nahm das Geld. Jetzt fühlte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher