Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
Moment. Aber ich ließ keine Gedanken an etwas anderes zu. Noch nicht.
34
15. August 2009, 12:00 Uhr
»Wow«, machte Holly beim Anblick des riesigen weißen Segelbootes. »Haben wir für das Monster denn auch einen Kapitän?«
Dad trat zu uns. »Ja, mich.«
»Ach, wisst ihr, ich glaube, ich setze mal eine Runde aus und leg mich an den Strand«, sagte Adam mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Leute, die sich im Sand sonnten.
Dad klopfte Adam ein wenig zu kräftig auf den Rücken. »O nein, Sie kommen mit. Ich lasse Sie nicht an Land zurück, während Sie Zugriff auf die ganze Technik haben. Nicht mit mir.«
Ich hatte den Eindruck, dass Dad scherzte, aber Adam sah auf einmal verängstigt aus. Er lehnte sich zu mir hin und flüsterte: »Die Mafia macht das immer so. Sie bringen Verdächtige auf ein Boot, fahren raus, knallen sie ab und schmeißen die Leichen über Bord. Wenn sie dann später in irgendeinem fremden Land oder auf einer Karibikinsel angeschwemmt werden, sind alle Beweise schon vernichtet.«
Holly hatte mitgehört und verdrehte die Augen. »So ein Quatsch. Es gibt viel bessere Methoden, um Beweise verschwinden zu lassen.«
Dad half Holly aufs Boot, und ich murmelte Adam zu: »Was ist bloß mit der echten Holly Flynn passiert?«
Adam grinste. »Sie ist gar nicht so viel anders als du. Holly wollte noch nie durchschnittlich sein.«
Er hatte recht. Es war nicht so, dass Holly in meiner Gegenwart nicht sie selbst gewesen wäre. Sie hatte nur eine Menge zurückgehalten, weil sie Angst hatte, ich könnte damit nicht umgehen. Zukunftspläne, Leidenschaft, Verpflichtungen – das alles hätte mich sofort das Weite suchen lassen.
Ich schubste Adam zum Boot. »Ich passe auf dich auf. Abgesehen davon werden die meisten Mafia-Morde auf Motorbooten verübt.«
Dad hatte alle Hände voll mit dem Losbinden der Segel zu tun. Ich sprang ins Boot, um ihm zu helfen. Adam und Holly setzten sich auf die Bank im Bug und schauten zu.
»Gehört das zur Agentenausbildung?«, fragte Holly. »Ihr seht fast so aus, als wüsstet ihr, was ihr da tut.«
Ich warf Dad einen Blick zu und grinste. »Nein, aber es gehörte immer zu unseren Familienurlauben. Für uns ist das völlig normal.«
»Was wir nicht gerade von vielen Dingen behaupten können, was?«, warf Dad ein.
Ein paar Minuten später waren wir unterwegs und schauten aufs offene Meer. Ich empfand es sofort als ungeheuer erleichternd, möglichst weit von dem Hotel voller Leute entfernt zu sein. Jetzt verstand ich, warum Dad hatte flüchten wollen.
»Wann sprechen wir denn über Spionagegeheimnisse?«
»Sobald wir ein bisschen mehr außer Reichweite sind«, antwortete Dad leise. »Weißt du, wie man nach Wanzen sucht?«
»Klar, hast du mir doch gezeigt.« Ich begann mit der Suche, zuerst in der Kajüte, dann überprüfte ich sorgfältig das Deck. Dad und Adam tuschelten miteinander, und ich belauschte sie unwillkürlich.
»Vor vielen Jahren, als ich in Ihrem Alter war, habe ich eine Sonderabteilung aufgebaut. Das Hauptquartier befindet sich im Keller der Stadtbücherei von New York, und die Arbeit ist nicht besonders riskant. Meistens geht es darum, in Büchern, Software und auf Websites nach verschlüsselten Nachrichten von Spionen Ausschau zu halten«, erklärte Dad. »Ich könnte Sie da mal reinbringen, wenn Sie wollen.«
»Cool«, antwortete Adam.
Sie verstrickten sich in ein ausführliches Gespräch über diese spezielle Abteilung der CIA. Ich wandte mich ab und setzte mich ans andere Ende des Bootes. Dads Hektik und Ungeduld der vergangenen Nacht schienen verflogen zu sein. Vielleicht wollte er ja auch bloß ein bisschen Zeit mit mir verbringen, jetzt, wo wir keine Geheimnisse mehr voreinander hatten.
Holly kam aus der Kajüte hoch und reichte mir etwas zu trinken, dann setzte sie sich zwischen meine Beine und lehnte sich an mich.
»Ich war noch nie auf einem Segelboot«, sagte sie.
»Segeln war im Urlaub immer meine Lieblingsbeschäftigung.«
Die Sonne brannte auf uns herab, aber die Meerwasserspritzer, die uns alle paar Minuten trafen, machten es perfekt. Ich legte meine Arme um ihre Taille und stützte mein Kinn auf ihren Kopf. So saßen wir eine Zeitlang schweigend da, bis ich Hollys Blick spürte. Ich schaute sie an und stellte fest, dass sie mich völlig gebannt fixierte.
»Was ist?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, nur …«
Ich beugte mich tiefer hinunter. »Was ist denn, Hol?«
Ihre Lippen berührten meinen Hals.
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