Sturz ins Glück
einzuholen, fragte er sich nicht einmal, warum es sich so unglaublich richtig anfühlte, dieser Frau hinterherzugaloppieren.
Kapitel 10
In den nächsten beiden Wochen war Gideon damit beschäftigt, alles für das Scheren vorzubereiten. Doch trotz der vielen Arbeit richtete er es sich immer ein, das Mittagessen zu Hause einzunehmen, damit er Zeit mit Bella und – wenn er ehrlich zu sich war – mit Miss Proctor verbringen konnte. Die angeregten Diskussionen und Unterhaltungen bei Tisch gefielen ihm so gut, dass er danach immer mit neuer Kraft an die Arbeit gehen konnte. Einige Male hatte er auch schon miterlebt, wie Miss Proctor seiner Tochter abends Gutenachtgeschichten aus der Bibel erzählte.
Sie hatte ein Talent, die Geschichten lebendig werden zu lassen, die ihn auf seinem heimlichen Beobachtungsposten vor der Tür genauso fesselten wie seine Tochter. Nicht nur, dass Miss Proctor jeder Person eine Stimme gab, sie spielte die verschiedenen Rollen sogar.
Eines Abends hatte sie auf einem Stuhl gestanden, um den Riesen Goliath zu verkörpern, und war dann auf Isabellas Bett gefallen, um die Todesszene darzustellen. Bella hatte gekichert und geklatscht, während Miss Proctor sich lachend aus der zerknüllten Decke befreit hatte.
„Warum lächeln Sie, patrón?“ Miguel war unbemerkt in den Schafstall gekommen. Er sah verärgert aus. Gideon hielt in der Bewegung inne, mit der er gerade seinen Hammer niedergehen lassen wollte, und wandte sich seinem Vorarbeiter zu.
„Was meinst du, Miguel?“
„Na, die Scherer hätten schon vor zehn Tagen da sein sollen. Die Schafe werden ruhelos und die Männer immer nervöser.“
„Dich eingeschlossen, würde ich sagen.“ Gideon wandte sich wieder seiner Arbeit zu und hämmerte den Nagel in die Scherplattform.
„Sí.“ Miguel seufzte tief.
„Geduld, mein Freund. Ramirez hat telegrafiert, dass der Fluss bei Eagle Ford über die Ufer getreten ist und sie sich verspäten würden.“
„Sí, patrón, aber das war letzte Woche. Die Männer hätten mittlerweile hier sein müssen.“
Gideon konnte die Verärgerung seines Vorarbeiters verstehen. Seit Tagen waren sie bereit. Die Pferche waren gebaut, die Tröge vorbereitet und bei dieser Plattform hatte er mittlerweile jedes Brett, das nur ein bisschen locker saß, ausgetauscht. Tatsache war, dass Gideon selbst wahrscheinlich unruhig geworden wäre, wenn er nicht Isabella und Miss Proctor gehabt hätte, die ihn ablenkten. Mittlerweile war der Juni schon angebrochen und er hatte seine Wolle immer noch nicht zum Markt geschickt. Kein sonderlich guter Start für seine Farm.
Gideon legte seinen Hammer beiseite und tätschelte seinem Vorarbeiter beruhigend die Schulter. „Du weißt doch, wie schlecht die Straßen nach einer Überschwemmung sind. Die Arbeiter können nicht riskieren, dass ihre Wagen im Schlamm stecken bleiben. Wir müssen einfach warten.“
Miguel nickte langsam, doch bevor er etwas erwidern konnte, erklang draußen auf dem Hof ein Ruf. Aufgeregte Stimmen riefen spanische Sätze so schnell durcheinander, dass Gideon nicht folgen konnte. Doch auf Miguels Gesicht trat ein hoffnungsvolles Lächeln.
„Es kommen Reiter, patrón! Die Männer sagen, es ist genug Staub für zwei oder drei Wagen.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Genug für eine Scherertruppe, was?“
„‚Der Herr ist meine Stärke und mein Schild; auf ihn hofft mein Herz und mir ist geholfen‘“, zitierte Gideon und konnte sich ein erleichtertes Grinsen nicht verkneifen.
Miguel klatschte in die Hände und galoppierte wie ein junges Fohlen zu den Männern im Hof. Gideon lachte und verließ den Stall in angemessenerem Tempo. Er wandte sich in Richtung Haus, um seine Angestellten von dem bevorstehenden Eintreffen der Scherer in Kenntnis zu setzen.
Er betrat das Haus durch die Küche und fand dort Mrs Garrett, die gerade Brötchen für das Abendessen vorbereitete.
„Mr Westcott, Sie sind ein bisschen zu früh fürs Abendessen.“
Gideon zwinkerte seiner Köchin zu. „Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? All die Vorkehrungen für das Scheren waren eine List. In Wahrheit will ich nur nahe am Haus sein, um Ihnen die Schätze aus dem Schrank zu stehlen, wenn Sie nicht hinschauen.“ Er grinste und ging an ihr vorbei zu dem Tontopf, in dem sie die Kekse aufbewahrte. Er nahm den Deckel ab und schnappte sich mit der anderen Hand eine der Köstlichkeiten. Genüsslich schob er das Gebäck in den Mund.
„Also! Lassen Sie meine Kekse in Ruhe, Sie
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