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Sturz ins Glück

Sturz ins Glück

Titel: Sturz ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Witemeyer
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das Tier nicht zum Schlachten gebracht wurde, doch die Szene fand sie nichtsdestoweniger beunruhigend. Da sie hoffte, mehr zu verstehen, wenn sie erst einmal sah, was im Inneren des Stalles geschah, führte sie Isabella in diese Richtung.
    Über ein Dutzend Männer waren in und um den Stall herum beschäftigt, die meisten von ihnen Fremde. Vorsicht mischte sich mit ihrer Neugier, sodass ihre Schritte langsamer wurden. Isabella hatte mittlerweile nach Adelaides Rock gegriffen, doch sie blickte sich neugierig um, um alles mit ihren großen Augen aufnehmen zu können. Die Szene vor ihnen erinnerte Adelaide eher an eine unzüchtige Taverne als an einen Arbeitsplatz. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ein kleines Mädchen mit hierher zu bringen. Die Männer lachten laut über ihre derben Witze, was Adelaide eher an ihren Gesten erkannte als an der Sprache. Einige der Worte, die sie aus dem Spanischen übersetzen konnte, ließen ihr das Blut in die Wangen steigen. Zum Glück konnte Isabella nichts verstehen.
    Das Mädchen zog an ihrem Kleid und Adelaide blickte zu ihr hinab. Sie fürchtete, dass die Kleine Angst bekommen hatte. Doch mit einem freudigen Lächeln zeigte Isabella auf die gegenüberliegende Seite der Plattform. Adelaide folgte ihrer Geste mit dem Blick.
    Dort stand Mr Westcott und redete mit einem der Scherer, wahrscheinlich dem Vorarbeiter. Erleichterung durchströmte sie. In Mr Westcotts Gegenwart brauchte sie sich um die Männer keine Gedanken zu machen.
    Gemeinsam mit Isabella ging sie auf die Plattform zu. Die lauten Unterhaltungen verebbten und Adelaide fühlte sich sofort wieder unwohl. Sie hob ihre Hand und grüßte die Männer mit einem Kopfnicken. Die meisten Arbeiter grüßten höflich zurück und wandten sich dann wieder ihrer Arbeit zu, aber einer von ihnen musterte sie mit einem so anzüglichen Grinsen, dass Adelaide nachschauen musste, ob auch wirklich alle Knöpfe an ihrem Korsett geschlossen waren.
    Mr Westcott erblickte sie und kam mit raschen Schritten auf sie zu. „Miss Proctor! Was führt Sie hierher?“
    Sie konnte nicht erkennen, ob dies eine Rüge sein sollte oder nicht. Vielleicht war es nur ihr eigenes schlechtes Gewissen, das diese Worte vorwurfsvoll klingen ließ. Das Lächeln, das Mr Westcott seiner Tochter schenkte, war jedenfalls liebevoll und herzlich. Er hob Isabella auf den Arm und führte Adelaide zur Seite, während sie seine Frage beantwortete. „Da weder Isabella noch ich jemals eine Schafschur erlebt haben, dachte ich, dass dies eine wunderbare Gelegenheit ist, unser Wissen zu erweitern. Ich hoffe, dass unsere Anwesenheit nicht zu sehr stört.“
    Mr Westcott zog die Augenbrauen zusammen. „Nun, vielleicht sollten Sie nicht allzu lange hierbleiben, aber ich glaube nicht, dass es schadet, wenn Sie eine Weile zuschauen.“
    „Danke, Mr Westcott.“ Adelaide freute sich über seine Entscheidung. Sie war es gewöhnt, unter arbeitenden Männern zu sein, da sie auf der Farm ihres Vaters die einzige Frau gewesen war, aber die Atmosphäre unter lauter Fremden war völlig anders. Hier genoss sie nicht den Schutz ihres Vaters, sondern war einfach nur eine Angestellte. Adelaide war davon überzeugt, dass Mr Westcott es niemals zulassen würde, dass man ihr in seiner Gegenwart unhöflich begegnete, doch was mochte sein, wenn er den Stall verließ? Doch jetzt konzentrierte sie sich wieder auf ihre Rolle als Lehrerin.
    „Würden Sie uns die Arbeitsschritte erklären?“
    Stolz glühte in Mr Westcotts Augen auf. „Natürlich.“
    Adelaide konnte immer noch den Blick des einen unverschämten Arbeiters auf sich spüren. Sie wandte der Plattform den Rücken zu und trat näher an Mr Westcott heran. Sein vertrauter englischer Akzent beruhigte sie, während sie ihm interessiert zuhörte.
    „Die Scherer arbeiten auf dieser Plattform, damit die Felle so sauber wie möglich bleiben“, erklärte er.
    Adelaide zog ihre Nase kraus, als sie die Tiere sah, die gerade aus dem Pferch hereingebracht worden waren. Sie hatte sich Schafe immer als wollige weiße Wölkchen vorgestellt, doch nach ein paar Monaten auf den staubigen Weiden der Ranch erinnerten sie eher an Gewitterwolken.
    „Warum ist Sauberkeit wichtig, wenn die Tiere sowieso schon so grau und zottelig sind?“
    Mr Westcott zwinkerte ihr zu. „Es geht nicht um das Äußere des Felles, sondern um das Innere.“
    Er zeigte auf den zweiten Mann in der Reihe. Lange schneeweiße Bahnen hingen von dem Schaf, das er gerade

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