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Sturz ins Glück

Sturz ins Glück

Titel: Sturz ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Witemeyer
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schor.
    „Wenn er fertig ist, legt er das Fell so zusammen, dass die saubere Seite außen ist. Dann reicht er das Ganze an den lanero weiter, den Jungen, dessen Aufgabe es ist, die Felle zum Sack zu tragen.“ Mr Westcott nickte in eine bestimmte Richtung und Adelaide wandte sich um, um zu sehen, was er meinte. Sie hatte mehrere Säcke in der Größe von Mehlsäcken erwartet, doch was sie erblickte, machte sie sprachlos. Ein riesiger Leinensack hing von einer Holzkonstruktion, die jeden Mann im Raum bei Weitem überragte.
    „Du meine Güte …“ Adelaide trat einen Schritt näher. „Izzy, sieh dir das an. Du müsstest dich auf die Schultern deines Vaters stellen, um oben an den Rand zu kommen.“ Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stoff, um ihre eigene Größe mit dem Gestell zu vergleichen, doch plötzlich stupste etwas sie an. Mit einem erschrockenen Aufschrei sprang sie vor.
    Mr Westcott lachte.
    Adelaide warf einen Blick auf den Sack. Er hing still und unbewegt da. Dann bewegte sich plötzlich der Stoff und beulte sich nach außen.
    „Mr Westcott! Eins der Tiere muss in den Sack gefallen sein.“
    Gelächter erklang im Stall, sodass Adelaide verlegen merkte, dass sie viel zu laut gesprochen hatte.
    „Nein, Miss Proctor.“ Mr Westcott schüttelte den Kopf und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das ist der Packer. Seine Aufgabe ist es, die Felle zusammenzutreten, sodass so viele Felle wie möglich in jeden Sack passen.“
    „Da drinnen ist ein Mann?“
    „Ja.“ Seine Augen funkelten amüsiert.
    Sie versuchte, ihre Verlegenheit zu überspielen, indem sie weiterplapperte. „Es muss schrecklich heiß da drin sein.“
    Wieder grinste ihr Arbeitgeber sie unverfroren an.
    „Tecolero!“
    Adelaides Herz machte einen erschrockenen Sprung, als einer der Scherer laut rief. Ein Junge rannte eilig zur Plattform, in der Hand eine Kanne mit einer schwarzen öligen Substanz. Er fing an, die Wunden des gerade fertig geschorenen Tieres zu betupfen. Adelaides Vater hatte das Gleiche bei Pferden und Rindern gemacht, wenn sie sich Schnitte oder Risse zugezogen hatten.
    „Damit hält man die Schmeißfliegen fern, nicht wahr?“
    Mr Westcott nickte. „Stimmt genau. Wir wollen nicht, dass sie ihre Larven in den Wunden ablegen.“
    Isabella erschauerte und verzog ihr Gesicht. Sie wedelte mit ihrem Zeigefinger in der Luft herum und schob angewidert die Oberlippe über die Unterlippe.
    „Da stimme ich dir zu.“ Adelaide zog die gleiche Grimasse. „Ich mag auch keine Würmer. Lass uns den hier loswerden.“ Sie schnappte sich Isabellas Finger und tat so, als würde sie ihn abzupfen. Dann warf sie das imaginäre Insekt auf den Boden und zertrat es mit ihrem Stiefel. Isabella kicherte und ihr Vater schenkte Adelaide eines dieser Lächeln, die sie am ganzen Körper erzittern ließen.
    Der Junge war fertig mit seiner Arbeit und entließ das Schaf durch eine Öffnung in der Wand, die, wie Adelaide vermutete, zu einem weiteren Pferch führte. Der Mann, der vorhin noch mit Mr Westcott geredet hatte, trat an den Arbeiter heran und reichte ihm eine kleine Metallplakette.
    „Was hat er ihm gegeben?“, wollte Adelaide wissen.
    „Es ist wie eine Belohnung“, erklärte Mr Westcott. „Für jedes Fell bekommen die Scherer eine solche Plakette, die sie am Ende des Auftrags gegen Geld eintauschen können. Eine Plakette ist etwa fünf Cent wert, deshalb arbeiten die Männer, so schnell sie können. Die meisten Scherer hier schaffen etwa hundert Schafe am Tag.“
    „Beeindruckend.“
    Als hätte sie dem aufdringlichen Scherer ein Zeichen gegeben, erhob er sich und zog damit Adelaides Aufmerksamkeit auf sich. Er rief den Jungen mit der Medizin zu sich und steckte die Metallscheibe in seine Hosentasche. Währenddessen starrte er Adelaide ununterbrochen an. Sie versuchte, ihn zu ignorieren, doch dann zog er ein rotes Tuch hervor und wischte sich damit die Stirn ab. Unwillkürlich schaute sie wieder in seine Richtung. Und dann zog er plötzlich, ohne einen Funken Anstand, sein Hemd über den Kopf, sodass er mit nacktem Oberkörper in der Scheune stand. Adelaide keuchte erschrocken und Mr Westcott trat sofort vor sie, um diesen Anblick vor ihr zu verbergen.
    „Lassen Sie mich Ihnen die Stelle zeigen, wo wir die Tiere brandmarken“, sagte Mr Westcott grollend. Adelaide wagte nicht, ihn anzuschauen, doch sie hoffte, dass er dem unverschämten Kerl einen vernichtenden Blick zuwarf.

Kapitel 11
    Die Wärme von Mr Westcotts Hand

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