Sturz ins Glück
nickte langsam, um ihrer Lehrerin anzudeuten, dass sie sehr lange gebraucht hatte, um auf die richtige Frage zu kommen. Adelaide hätte am liebsten gejubelt, weil sie Isabella endlich richtig verstanden hatte, doch sie unterdrückte es. Hier handelte es sich immerhin nicht um Pantomimeraten. Das würden sie morgen machen. Nein, das hier war ein Gespräch, das sie ernst nahm. Schnell kniete sie sich neben Isabella und umarmte sie.
„Nachdem du gestern im Bett warst, habe ich mit deinem Vater gesprochen. Er geht davon aus, dass er noch heute mit dem Räudebad fertig wird und die Schafe morgen früh zurück auf die Weiden treiben lassen kann. Er wird sicher schon nachmittags zurück sein. Ich bin mir sicher, dass unsere Überraschung ihn sehr freuen wird.“
Etwas von Isabellas Anspannung wich. Adelaide zog sie in Richtung Tür.
„Und jetzt müssen wir uns um deine Garderobe kümmern. Auch wenn es sich um eine Dinerparty im kleinsten Kreis handelt, muss die Gastgeberin dafür sorgen, dass sie wunderschön aussieht. Auf diese Weise ehrt sie die Gäste und verleiht der Veranstaltung einen Hauch von Eleganz. Während die Farbe deiner Bilder trocknet, können wir in dein Zimmer gehen und das richtige Kleid für dich aussuchen. Ich habe schon mein Musselinkleid bereitgelegt. Vielleicht könntest du – wo gehst du hin?“
Isabella hatte sich losgerissen und war in eine Ecke des Dachbodens gerannt. Vor einem Koffer ließ sie sich auf die Knie fallen und versuchte, ihn zu öffnen. Adelaide lief ihr nach, um ihr zu helfen.
„Willst du etwas von deiner Mutter anziehen?“ Adelaide schaute der Kleinen über die Schulter, während diese durch den Kofferinhalt wühlte. „Das ist eine schöne Idee. Vielleicht einen Schal oder eine Halskette?“
Isabella zerrte an einem Stoff. Adelaide musste mehrmals blinzeln, bis sie sicher sein konnte, dass sie sich das, was sie dort sah, nicht einbildete. Das Kind hatte einen Traum aus Seide und Spitze hervorgezogen. Adelaide schnappte überwältigt nach Luft. Ein Ballkleid. Ein romantisches, märchenhaftes gelbes Ballkleid. Die Seide und das perlenbesetzte Oberteil schienen sie wie magisch anzuziehen. Da sie nicht widerstehen konnte, fuhr sie zärtlich mit den Fingern über den Stoff.
Das Gewicht des Kleides wurde zu schwer für Isabella, sodass es auf den Boden rutschte. Adelaide fing es auf und hielt es in seiner ganzen Schönheit vor sich hin. Die Perlen waren kunstvoll aufgestickt und glänzten im Schimmer des Sonnenlichtes. Wenn ein Traum geschneidert werden konnte, würde ihrer so aussehen.
„Oh, Izzy. Es ist wunderschön. War das das Ballkleid deiner Mutter?“
Isabella nickte mit funkelnden Augen. Sie warf ein Paar elfenbeinfarbener Handschuhe in Adelaides Richtung.
„Willst du die anziehen?“ Adelaide runzelte die Stirn. „Hm, die könntest du bis zu den Schultern ziehen. Warum suchst du dir nicht ein hübsches Band aus, das wir dir ins Haar binden können?“
Adelaide legte die Handschuhe auf den Koffer und fing an, das Kleid wieder ordentlich zusammenzulegen – nicht, ohne einen Stich im Herzen zu spüren. Es war eine Schande, ein so wunderschönes Kleid in einem Koffer verschwinden zu lassen, doch es musste sein. Vielleicht würde Isabella es eines Tages auf einem Ball tragen. Während Adelaide in ihrem Kopf noch das Bild einer erwachsenen Isabella hatte, die in den Armen eines Unbekannten tanzte, riss die noch nicht erwachsene Version ihr das Kleid erneut aus den Händen.
„Was machst du denn?“ Adelaide wusste nicht, was sie sagen sollte, als Isabella ihr das Kleid anhielt, als sei sie eine kleine Schneiderin. Wieder und wieder stupste sie sie mit dem Stoff an.
„Du willst, dass ich das Kleid trage?“
Isabellas Kopf flog auf und ab, wobei ihre blonden Locken freudig in alle Richtungen sprangen. Adelaides Herz machte einen Sprung. Das Kleid zu tragen wäre wie ein Traum, aber es war zu ausgefallen für einen einfachen Empfang. Zudem wäre es für Isabella vermutlich auch schwer, sie in dem Kleid ihrer Mutter zu sehen.
Was, wenn sie etwas darauf verschüttete oder die Spitze am Kragen oder unten am Saum beschädigte? Nein. Sie konnte es nicht annehmen. Außerdem war es ein ganzes Stück zu lang für sie.
„Das ist wirklich lieb, Izzy, aber ich kann es nicht. Ich –“
Wieder drückte das Mädchen ihr das Kleid gegen die Brust, ihre rosa Lippen schmollend verzogen. Adelaide fand nicht die Kraft, ihr noch ein weiteres Mal zu widersprechen.
„Na gut.“
Weitere Kostenlose Bücher