Sturz ins Glück
Sie nahm das Kleid von Isabella entgegen und legte es sich über den Arm, damit es nicht noch mehr zerknitterte. Dann bedeutete sie dem Mädchen, zurück an den Koffer zu gehen. „Aber nur, wenn wir für dich auch so etwas Wunderschönes finden. Denn morgen ist der Abend, an dem du als Prinzessin erscheinen sollst.“
* * *
Später am Abend, als die Einladungen verteilt worden waren und die kleine Prinzessin im Bett lag, saß Adelaide in der Küche und trank Tee mit Mrs Chalmers. Seit sie Isabella zugestimmt hatte, das Kleid zu tragen, war sie sich ihrer Sache immer unsicherer geworden. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Nun … sie wusste, was sie sich gedacht hatte. Sie hatte sich gedacht, dass es wunderbar wäre, ein so auserlesenes Kleid zu tragen. Es wäre wie im Traum, damit zu einem Ball zu gehen und mit einem tapferen Prinzen zu tanzen. Oder dem Sohn eines Barons, wie es hier der Fall war.
Woran sie nicht gedacht hatte, war, dass sie damit Grenzen überschritt. Es stand ihr nicht zu, das Kleid einer Lady zu tragen, geschweige denn das Kleid von Gideons kürzlich verstorbener Frau. Sie konnte nur ahnen, wie sehr sie ihn damit verletzen würde. Wenn sie in diesem Kleid die Treppe herunterkam, würden seine alten Wunden bestimmt aufbrechen. Würde er sich aufregen? Oder seine Trauer verstecken?
Würde er sie mit seiner Frau vergleichen?
Adelaide seufzte und starrte in die braunen Tiefen ihrer Tasse.
„Müde, meine Liebe?“ Mrs Chalmers lächelte sie über den Rand ihrer Tasse hinweg mitfühlend an.
„Ja, aber deshalb seufze ich nicht.“
Mrs Chalmers stellte ihren Tee beiseite. „Kann ich Ihnen helfen?“
Adelaide sah die freundliche Frau an. „Ich habe Isabella ein Versprechen gegeben, ohne wirklich darüber nachzudenken, und jetzt stecke ich in einer Zwickmühle.“
Das Gesicht der Haushälterin blieb ruhig. „Erzählen Sie weiter.“
„Wir haben oben auf dem Dachboden in einem Koffer nach etwas geschaut, das Isabella morgen zu dem Empfang anziehen könnte – von ihrer Mutter. Sie hat ein wunderschönes Kleid hervorgezogen und darauf bestanden, dass ich es trage. Irgendwann habe ich zugestimmt.“
„Ich verstehe nicht, was daran so schlimm ist. Diese Sachen gehören doch jetzt Isabella. Wenn sie will, dass Sie das Kleid ihrer Mutter anziehen, tun Sie es doch einfach.“
„Aber was ist mit Mr Westcott?“ Adelaide stützte einen Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hand. „Er findet es doch bestimmt anmaßend, wenn nicht sogar verletzend, wenn ich das Kleid seiner verstorbenen Frau trage, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Er hat mich so gut behandelt, da kann ich ihn nicht derart vor den Kopf stoßen.“
Plötzlich wusste Adelaide, was zu tun war. Der einzige Grund, warum es ihr nicht schon früher eingefallen war, war, dass ihre eigenen Wünsche sie geblendet hatten. Sie ließ ihre Hand fallen und sah die Haushälterin an. „Es tut mir leid, Mrs Chalmers. Ich hätte Sie nicht belästigen sollen. Ich weiß jetzt, was ich tun muss. Ich erkläre es einfach Isabella und dann –“
„Warten Sie, Liebes.“ Mrs Chalmers sah sie über ihre Brille hinweg an. „Was hat es mit dieser Frau auf sich? Mr Westcott war niemals verheiratet.“
Verwirrung machte sich in Adelaide breit. Sie blinzelte heftig, um ihre Gedanken zu sammeln. Niemals verheiratet? „Aber seine Tochter …“
Mrs Chalmers lachte auf. „Ah, jetzt verstehe ich. Isabella ist Mr Westcotts Pflegetochter. Im Herzen ist sie seine Tochter, doch nicht vom Blut her. Ich dachte, Sie hätten das Bild von Isabellas Eltern neben ihrem Bett stehen sehen.“
Adelaide hatte tatsächlich die Fotografie bemerkt und auch die Ähnlichkeit zwischen Isabella und dem Paar auf dem Bild. Aber sie war sich so sicher gewesen, dass Gideon Isabellas Vater war, dass sie sie für entferntere Verwandte gehalten hatte. Vielleicht Tante und Onkel.
„Also war Mr Westcott nie verheiratet.“ Adelaide wiederholte die Worte, um deren Bedeutung in sich aufzunehmen.
„Das stimmt.“ Mrs Chalmers nahm ihre Teetasse wieder in die Hand und versteckte ihr wissendes Lächeln dahinter. „Also gibt es keinen Grund, warum Sie das Kleid nicht tragen sollten.“
Adelaides Puls fing an zu rasen. Gideon war nie verheiratet gewesen! Es gab keinen Geist, der ihn noch in seinem Bann hielt. Keine angemessene Trauerzeit. Keinen Grund, ihr Traumkleid nicht für ihren Traummann zu tragen.
Ihre Wangen verzogen sich zu einem breiten Lächeln, das sie nicht
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