Sturz ins Glück
Miguel“, sagte Gideon mit leiser Stimme. „So schlimm ist es hier auch wieder nicht.“
Der Vorarbeiter sprang auf die Füße. „Señor Westcott, ich sollte nicht hier sein.“
Gideon klopfte ihm auf den Rücken. „Warum nicht? Du bist ein geladener Gast.“
„Aber ein Empfang im großen Haus? Das ist etwas für feine Gentlemen und schicke Ladys. Nicht für Angestellte, die nach Schafen stinken.“
Gideon beugte sich nah an Miguel heran und schnupperte hörbar. „Ich rieche nichts. Außerdem bin ich unter all diesem erlesenen Stoff nichts anderes als ein Schafzüchter. Da meine Tochter uns beide eingeladen hat, scheint es ihr egal zu sein, dass sie es mit zwei Hirten zu tun hat. Und jetzt halte dich gerade.“ Gideon zupfte wie ein Butler an Miguels Kleidung herum. Der schwarze Gehrock, den er seinem Vorarbeiter geliehen hatte, hing ein wenig an ihm, doch er sah durchaus vorzeigbar aus. Er richtete seine Krawatte und wischte dann ein wenig Staub von seiner Schulter. „So. Heute Abend bist du auch äußerlich, was du sowieso schon immer warst – ein Gentleman-Schafhirte.“
„Gracias, patrón.“
Hinter Miguel trat die Köchin aus der Küche in den Salon. „Mrs Garrett! Wie wunderbar Sie aussehen.“
Mrs Garrett betrat den Raum in einem grünen Kleid, das vor ein paar Jahren sicher modern gewesen war, aber sie errötete bei Gideons Schmeichelei wie ein Schulmädchen.
„Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe“, grummelte sie vor sich hin und nahm ihren Hut ab. „Dass man die Angestellten zu einem Essen einlädt und ihnen nicht einmal gestattet, das Essen zu servieren. Ihre Tochter nimmt seltsame Ansichten an.“
Gideon nahm ihr den Hut ab und hängte ihn an einen Kleiderständer, ließ sich aber von ihren knurrigen Worten nicht täuschen. „Mir gefällt der Gedanke. Vielleicht wird das eine neue Tradition in Westcott Cottage. Einmal im Jahr werden die Menschen, die hier Tag für Tag so hart arbeiten, belohnt, indem sie die Rollen mit den Arbeitgebern tauschen. Nächstes Mal werde ich an der Seite meiner Tochter sein.“
Eine Vision von Adelaide, die neben ihm stand und ihn unterstützte, schoss durch seine Gedanken. Schnell verdrängte er sie.
„Ich sage Ihnen, diese Miss Proctor ist schon ein Wunder“, fuhr Mrs Garrett fort. „Sie hat mich heute Morgen allerlei Dinge vorbereiten lassen, die man kalt servieren kann, sodass ich in den letzten Stunden nichts mehr zu tun hatte. Es gibt Roastbeef-Sandwiches, Kartoffelsalat, Krautsalat, gekochte Eier, zwei verschiedene Pasteten und einen Schokoladenkuchen.“
Gideon lächelte. „Das hört sich nach einem wahren Festmahl an.“
„Als ich alles fertig hatte, hat sie mich einfach weggeschickt. Ich solle mich auf das Fest vorbereiten und mich ausruhen. Sie würde den Rest machen. Hat man so etwas schon einmal gehört?“ Mrs Garrett stemmte die Hände in die Hüften. „Als könnte ich mich ausruhen, wenn mir jemand meine Arbeit wegnimmt. Und wann will sie sich überhaupt vorbereiten, wenn sie meine Aufgaben zusätzlich zu ihren übernimmt, frage ich mich.“
Gideon runzelte die Stirn. Es hörte sich so an, als hätte sich Adelaide zu viel vorgenommen. Er sollte ihr helfen, anstatt hier herumzustehen und zu warten.
Hinter ihm räusperte sich jemand. „Ich glaube, unsere Gastgeberin ist soeben erschienen“, verkündete sein Butler.
Chalmers stand am Fuß der Treppe, wie immer vorbildlich gekleidet. Seine Frau hatte sich bei ihm untergehakt, doch ihr Blick war nach oben gerichtet, wo Isabella stand.
„Ein wunderschöner Engel“, rief die Haushälterin aus. Gideon konnte ihr nur zustimmen.
Seine Tochter schritt langsam wie eine Königin die Treppe hinunter. Ihr rosafarbenes Seidenkleid kam ihm bekannt vor, doch er konnte sich nicht daran erinnern, dass es einen perlenbesetzten Kragen und einen Saum aus edler Spitze gehabt hatte. Bellas Locken, die sonst wild um ihren Kopf tanzten, waren ordentlich frisiert und mit einem zum Kleid passenden Band geschmückt worden.
Gideon streckte die Arme aus und ging seiner Tochter lächelnd entgegen. Als sie zurücklächelte, fühlte er sich plötzlich ein bisschen größer und stärker. Was mit Sicherheit gut war, denn in ein paar Jahren würden unzählige Bewerber um ihre Hand anhalten.
Als sie die unterste Stufe erreicht hatte, beugte sich Gideon über ihre Hand und deutete einen Handkuss an. Sie kicherte und wurde rot, nickte aber hoheitsvoll lächelnd mit dem Kopf. Dann verließ sie
Weitere Kostenlose Bücher