Sturz ins Glück
gewesen waren, die sie zu Gesicht bekommen hatten. Er war so stolz auf sie gewesen, dass er sie zu jeder Soiree in London mitgenommen hätte.
Gideon wischte den Rest des Rasierschaums weg und musterte sich prüfend im Spiegel. Zufrieden nahm er das weiße Leinenhemd, das über dem Stuhl hing, und zog es sich über den Kopf. Er hatte gerade den Kragen gerichtet, als es leise an der Tür klopfte.
Adelaide . Chalmers’ forsches Klopfen hätte er erkannt.
„Einen Moment.“
Schnell schloss er die Knöpfe und steckte das Hemd in die Hose. Während er schon auf dem Weg zur Tür war, zog er seine Hosenträger zurecht und griff nach der Jacke. Er wollte seine Dame nicht warten lassen.
Die Tür knarzte, als er sie öffnete.
Da stand sie, seine kleine bezaubernde Elfe. Er strahlte sie an, bevor er sie genauer ansah. Irgendetwas stimmte nicht.
Anstatt ihres Reitkleides, trug sie ein buntes Hauskleid, das ohne Gürtel an ihr herunterhing. Eine Strähne hatte sich aus ihrer nachlässig aufgesteckten Frisur gelöst und klemmte zwischen ihrer Schulter und einem Buch, das sie an sich gedrückt hielt.
Am meisten jedoch beunruhigte ihn ihr Schweigen, gemeinsam mit der Tatsache, dass sie ihn noch nicht einmal angeschaut hatte.
„Adelaide?“
Sie hob ihr Kinn und sein Herz setzte aus. Dunkle Ringe lagen unter ihren rotgeränderten Augen. Ihre bleiche Gesichtsfarbe ließ ihn das Schlimmste fürchten. Er ließ seine Jacke fallen und legte seine Hände auf ihre Schultern.
„Sie sind krank.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, legte er eine Hand an ihre Stirn. „Ich sage Chalmers, dass er sofort den Arzt holen soll.“
Er ging an ihr vorbei, um die Sache gleich zu erledigen, doch Adelaides Hand auf seinem Arm ließ ihn innehalten.
„Ich bin nicht krank, Gideon. Ich bin traurig.“
Was hatte das zu bedeuten? War jemand gestorben?
„Die Gefahr ist nahe“, fuhr sie fort. „Wir müssen Isabella beschützen.“
Nachdem sie diese kryptischen Worte ausgesprochen hatte, drückte sie ihm das Buch in die Hand.
Er sah stirnrunzelnd auf den dünnen Ledereinband. „Ich verstehe nicht.“
Sie seufzte laut. „Es tut mir leid, Gideon. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und ich fürchte, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann, geschweige denn aussprechen. Lesen Sie die Stellen, die ich markiert habe. Dann verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will.“
Er hob das Buch. „Hat das hier Sie die ganze Nacht wach gehalten?“
„Ja. Ich habe es in Lady Petcheys Koffer gefunden, als ich das Kleid zurücklegen wollte.“ Ihre Blicke trafen sich. „Ich kann es nicht erklären, aber ich glaube, Gott wollte, dass ich dieses Tagebuch finde. Einiges von dem, was dort geschrieben steht, werden Sie schon kennen, aber ich bin mir sicher, nicht alles. Wir müssen uns vorbereiten, Gideon. Er wird kommen, um sie zu holen.“
„Wer wird kommen?“
„Reginald.“
Viscount Petchey . Erleichterung durchströmte ihn. Sie wusste nichts von dem Urteil des Gerichts, das seine Vormundschaft bestätigt hatte. Er steckte sich das Buch unter den Arm und legte seine Hand an ihre Taille. Adelaide sah aus, als würde sie jeden Moment umfallen. Am liebsten hätte er sie zum Sofa in seinem Zimmer gebracht, doch das schickte sich nicht. Sein Büro musste reichen. Er wollte ihre Angst beruhigen, bevor ihre Sorge sie ernsthaft krank machte.
„Lassen Sie uns in mein Büro gehen. Ich denke, dass ich Ihre Befürchtungen entkräften kann.“
Sie blieb wie angewurzelt stehen. „Sie sollten das Tagebuch lesen, bevor wir uns weiterunterhalten.“
Gideon sah keinen Nutzen darin und sie würde ihm sicherlich zustimmen, wenn sie erst einmal miteinander gesprochen hatten. Doch wenn er ihr nicht zusicherte, das Tagebuch zu lesen, würde sie mit Sicherheit nicht zulassen, dass er sich um sie kümmerte. Im Moment war es sein vorrangiges Ziel, sie in einen Sessel zu bekommen, bevor sie ohnmächtig wurde.
„Ich verspreche, dass ich es lese, wenn wir unten sind.“ Er schob sie vorsichtig vor sich her und war erleichtert, dass sie sich führen ließ.
Natürlich würde er ihr erst alles über Petchey berichten. Falls sie dann immer noch nicht von Bellas Sicherheit überzeugt war, würde er wie versprochen das Tagebuch lesen. Wenn er ihre Zweifel beschwichtigt hatte, würde er dafür sorgen, dass sie die Ruhe bekam, die sie dringend benötigte.
Sie gingen gemeinsam die Treppe hinunter, wobei Gideon sie weiterhin stützte. Als sie sein Büro erreicht hatten,
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