Succubus on Top
stetigen grauen Vorhang. Alles erschien kälter. Ich war in einem warmen Mittelmeerklima aufgewachsen; an diese Temperaturen konnte ich mich nie so ganz gewöhnen.
Als ich in der Buchhandlung auftauchte, hatte sie erneut ohne mich ihre Pforten geöffnet. Eines war jedoch merkwürdig: Obwohl heute genau dieselben Kollegen Dienst hatten wie gestern, wurde ich nicht so überschwänglich begrüßt.
Casey und Janice an den Kassen hielten in ihrer Tätigkeit inne und beobachteten mich mit rätselhaftem Gesichtsausdruck. Janice beugte sich zu der anderen Frau hinüber und murmelte ihr etwas ins Ohr. Sie bemerkten meinen neugierigen Blick und lächelten beide gezwungen. «Hallo, Georgina!»
«Hallo», gab ich zurück, verwirrt und mit leichtem Unbehagen.
Einen Augenblick später kam ich am Infostand vorüber, wo Beth mich mit einem ähnlich eigentümlichen Blick bedachte.
«Wie geht’s?», fragte ich auf ihr Schweigen hin.
«Gut.» Hastig wandte sie sich dem Bildschirm zu.
Nun ja, ich war schon früher beim Hereinkommen mit etlichen seltsamen Blicken bedacht worden, aber das jetzt war merkwürdig, sogar für mich.
Nachdem ich mit einem Liebhaber zusammengewesen war, verlieh mir die absorbierte Lebensenergie manchmal eine Ausstrahlung, die Sterbliche unbewusst anzog. Deswegen hatte Hugh mich übrigens beim Pokerspiel aufgezogen. Aber an ihr lag es im Augenblick mit Sicherheit nicht. Meinen letzten Kick hatte ich, wie ich Bastien gesagt hatte, vor einigen Tagen erhalten. Die Ausstrahlung wäre mittlerweile viel schwächer geworden. Abgesehen davon erkannte ich bezauberte Blicke, wenn ich sie sah. Das hier waren keine. Das waren neugierige Blicke von der Art: Was ist denn mit ihr? Mit solchen Blicken wurde man bedacht, wenn einem der Rest einer Mahlzeit im Gesicht klebte oder irgendwo ein Knopf offen stand. Die Wahrscheinlichkeit für beides erschien äußerst gering, aber ich verschwand trotzdem in der Toilette, einfach nur, um nachzusehen.
Nichts. Makellos. Ein langer Jeansrock sowie ein marineblauer, schulterfreier Pulli. Beides faltenlos und perfekt. Make-up an Ort und Stelle. Das Haar hing locker bis über meine Schultern herab. Ein typisches Aussehen. Nichts, was diese Aufmerksamkeit verdient hätte.
In der Annahme, dass ich zu viel in die Dinge hineininterpretierte, ging ich zum Café weiter. Seth, der in seiner Ecke arbeitete, nickte mir freundlich zu. Zumindest er verhielt sich normal.
Eine neue Barista war an der Espressobar zugange, und sie hätte bei meinem Anblick fast die Tassen fallen gelassen, die sie in Händen hielt.
«H-hallo», stammelte sie und musterte mich mit weit aufgerissenen Augen von Kopf bis Fuß.
«Hallo», erwiderte ich. Diese Frau kannte mich nicht mal. Warum verhielt sie sich ebenfalls so sonderbar? «Medium White-Chocolate-Mocha.»
Sie benötigte einen Moment, bis sie in die Gänge kam und meine Bestellung auf einen Becher schrieb. Beim Eintippen in die Kasse fragte sie neugierig: «Sie sind Georgina, nicht wahr?»
«Äh, ja. Warum?»
«Hab bloß von Ihnen gehört, das ist alles.» Sie senkte wieder den Blick.
Anschließend sprach sie kein Wort mehr, sondern bereitete bloß den Mocha zu und reichte ihn mir. Ich nahm ihn, ging zu Seth hinüber und ließ mich ihm gegenüber nieder. Die Barista beobachtete uns weiterhin interessiert, obwohl sie sich sofort abwandte, als sie meinen Blick bemerkte.
«Hallo», begrüßte mich Seth, Augen und Finger beschäftigt.
«Hallo», gab ich zurück. «Heute benehmen sich alle wirklich sonderbar.»
Er sah auf. «Tatsächlich?» Ich erkannte sofort, dass ihn seine Schreiberei wieder völlig in ihrem Bann hatte. Unter solchen Bedingungen war er noch zerstreuter als sonst. Ein Sukkubus sollte sich wahrhaft glücklich schätzen, einen solchen Eindruck auf einen Mann zu machen.
«Ja. Ist dir irgendwas aufgefallen? Ich habe das Gefühl, dass die Leute mich anstarren.»
Er schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Gähnen, bevor er weitertippte. «Für mich ist alles wie immer. Dein Pullover gefällt mir. Vielleicht ist es der.»
«Vielleicht», gab ich zu, ein wenig besänftigt durch das Kompliment, auch wenn ich es ihm nicht recht abnahm. Da ich ihn nicht länger ablenken wollte, stand ich auf und streckte mich. «Ich sollte wieder an die Arbeit.» Bei einem Blick zur Espressobar hinüber bemerkte ich Andy, einen der Kassierer, der sich einen Kaffee besorgte. «Da!», zischte ich Seth zu. «Hast du das gesehen?»
«Was?»
«Andy hat gerade
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