suchen Gespenster
fragte Frau Heinrich. „Und du bist eigentlich trotzdem recht lange geblieben. Mein Mann kam nach Hause. Er war schon unruhig und ist mit dem Rad losgefahren. Ist er dir nicht begegnet?“
„Wann ist er denn gefahren?“
„Vor einer halben Stunde“, antwortete Frau Heinrich. „Aber horch, da kommt ein Auto. Das wird der Doktor sein. Hoffentlich ist mein Mann auch bald zurück.“
Die alte Zieglerin sagte nichts. Doch sie sah immer wieder zum Fenster hinaus. Und endlich kam auch der Großvater Heinrich. Den Mantelkragen hatte er hochgeschlagen und den Kopf zwischen die Schultern gezogen, wie es seine Angewohnheit war.
„Ist das ein wilder Sturm“, schimpfte er schon in der Haustür. „Und das Licht an meinem Rad funktioniert natürlich auch nicht. Ein Unglück kommt selten allein.“ Damit stolperte er die Treppe hinauf, krumm, wie er immer ging, als hätte er einen Buckel und als säße ihm der Kopf zwischen den Schultern.
Die alte Zieglerin behielt die Geschichte lange für sich. Wenn sie aber später davon erzählte, erwähnte sie niemals, dass der Mann ohne Kopf auf einem Fahrrad gesessen hatte. Und mit der Zeit war sie selber davon überzeugt, dass sie wirklich den Reiter ohne Kopf gesehen hatte.
Alle klatschten Beifall, als Hilda die Blätter zusammenfaltete und zu Bärbel hinüberbrachte.
„Hättest du das Bärbel jemals zugetraut?“, fragte Uschi flüsternd ihre Nachbarin Elfi.
„Nie und nimmer“, kam die Antwort. Beide gingen zu Bärbel hinüber und schüttelten ihr kräftig die Hand.
„Wie bist du bloß auf diese Geschichte gekommen?“, fragten ein paar Mädchen.
„Sehr einfach“, antwortete Bärbel lachend. „Das Gespenstern liegt hier ja in der Luft, wie Frau Theobald ganz richtig sagte. Und ich kenne eine Sage vom Reiter ohne Kopf, die habe ich einmal irgendwo gelesen. Als nun so viel vom Spuk die Rede war, fiel mir die Erklärung für einen kopflosen Menschen ein. Das Übrige habe ich mir ausgedacht.“
„Fantastisch“, staunten alle, die zuhörten. „Und wie du es geschrieben hast!“
„Na, das ist ja weiter kein Wunder. Bärbel schreibt ja immer die besten Aufsätze“, erklärte Uschi. Sie sagte das vor allem zu den Mädchen aus den anderen Klassen, die Bärbel auch gratulieren wollten.
Dann ging das Fest weiter, ähnlich wie viele Feste in Lindenhof zuvor: mit Vorträgen, mit Liedern und Spielen. Die Lieder begleitete Marianne. Ihr machte das besonderen Spaß, seit sie Hellas Miene bemerkt hatte. Die ärgerte sich bestimmt nicht wenig!
Die Sportwettkämpfe und die Aufführungen fehlten diesmal. Es war ja bloß ein „Ersatzfest“. Auch Bärbel fand Zeit, der Klasse von ihrem Plan zu erzählen: „Wenn wir wieder in Lindenhof sind, lade ich euch alle zu einer Nachfeier ein.“ Da gab es noch einmal großen Beifall. Bärbel war von nun an die Heldin der Klasse, das verstand sich von selbst. Mit einem Schlag hatte sie Freundinnen, so viel sie nur wollte.
Zitterbiene und Kichererbsen
Die Zwillinge waren an diesem Tag aber auch nicht faul. „Die beste Gelegenheit etwas anzustellen“, hatte Nanni gesagt und Karolin und Carlotta verständigt. So kam es, dass gegen Abend in einem der engen Gänge nahe dem Eingang eine wunderliche Gestalt stand: An ihrem hohen Hut war ein dichter weißer Schleier befestigt. An der Stelle, wo man die Augen vermutete, brannten zwei rötliche Lichter.
Ausgerechnet Elli kam als Erste den Gang entlang, an dessen Ende ein Waschraum lag. Entsetzt fuhr sie zurück. Was war das? Ein echtes Gespenst? Sie vergaß, dass sie gerade Bärbels Geschichte gehört hatte, in der ein Spuk ganz einfach erklärt wurde, und wollte – stumm und starr vor Schrecken – wieder hinauslaufen. Da kam ihr von der anderen Seite ein Mädchen aus der dritten Klasse entgegen. Das zeigte verstört zurück in die Richtung, aus der es kam: „Eine verschleierte Frau“, hauchte es.
„Dort auch“, flüsterte Elli zurück.
Dass sie Angst hatten, wollten sie natürlich nicht zeigen, um sich nicht vor den anderen zu blamieren. So gingen sie betont langsam hinaus, sahen sich bloß noch einmal scheu um, ob die Gespenster ihnen folgten, und berichteten draußen der jungen Turnlehrerin, die dicht an der Tür stand und die Spiele leitete: „Frau Wilton, in den Gängen stehen zwei Gespenster.“
Sie wollten es eigentlich lachend sagen, aber ihre blassen Gesichter und ihre zitternden Stimmen verrieten deutlich, wie ihnen zumute war. Eine von den Zwillingen war gerade in
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