Südbalkon
Schultern legt und mit dem Finger aus dem Bild hinauszeigt. Wir stehen aufeiner Art Berg, auf einer Kuppel, einer Anhöhe. Ein Ausflug wahrscheinlich, an Details erinnere ich mich nicht. Nur an dieses warme Gefühl: dass da einer ist, zu dem ich gehöre, der das Land mit mir erkundet, Schritt für Schritt. Eine wirkliche Beziehung also, dieses Gefühl steht plötzlich lebendig im Raum; ein Feuer, an dem ich mich wärme. Ich nehme das Foto in die Hand und wische zart über das Glas.
Wir hatten damals viel Tagesfreizeit, also viel Sex. Raoul schrieb an einer Diplomarbeit, die er niemals fertigstellen sollte, ich hatte gerade mein Langzeitpraktikum in der Todesanzeigenredaktion angetreten und ein dunkelblaues Kostüm gekauft, um den Angehörigen mit angemessenem Respekt zu begegnen. Knielanger Rock, weiße Bluse, strenges Sakko mit Schulterpolstern, ein Aufzug, den ich hasste. Raoul hingegen liebte das Kostüm. Wir bauten es regelmäßig in die Choreographie des siebten Flittchens ein.
»Heute Amsterdam«, verkündete er. »Zieh dich richtig an. Du weißt schon.« Und ich wusste schon und kleidete mich ordnungsgemäß.
Als ich das Foto zurückstellen will, fällt mir eine Karte ins Auge, die auf der Rückseite des Bildes in den Rahmen geklemmt ist. Ich ziehe sie vorsichtig hervor.
Maja Preblauer
Dipl. Existenzberaterin
Ein Moment des Erstaunens.
Ich kann mich nicht erinnern, Majas Visitenkarte hinter das Bild geklemmt zu haben. Genau genommen endet meine Erinnerung an die Visitenkarte mit dem Verlassen des Café Kurbel.
»Wir sollten zahlen«, hatte Maja gesagt und nach der Kellneringewinkt. Mit einem Mal kehrt alles zurück. Wie ich die Visitenkarte unauffällig unter die Getränkekarte schob, während Maja zahlte, weil ich dachte: Brauch ich nicht. Wie wir aufstanden und durch den Kaminsky-Park spazierten und der Anflug eines schlechten Gewissens auf mir lastete. Maja ist schließlich meine beste Freundin, eine andere beste Freundin habe ich nicht und werde ich niemals haben. Mehr kriegst du nicht. Eine beste Freundin unterstützt und motiviert man in allen Belangen, sonst kann man sich gleich ein Haustier anschaffen, denn das ist einem auch ohne Gegenleistung treu. Möglich, dass Maja Raoul eine Visitenkarte überreicht hat, aber wann sollte das gewesen sein?
Es läutet an der Tür, aufdringlich und nachdrücklich. Ich öffne und bereue umgehend meine Unvorsichtigkeit. Herr Eberwein steht davor, an seiner Wade klebt der völlig aus der Form geratene Dackel Hugo. Hugo keift mich an, als sei ich ein Eindringling in seinem Territorium, dabei ist es doch umgekehrt.
»Wenn Sie möchten«, sagt Herr Eberwein, »können Sie gleich bei mir weiterputzen. In einem Aufwasch, wenn ich es so formulieren darf.« Ein Blick auf den NUBA-Stiel in meiner Hand, süffisantes Lächeln.
Horst Eberwein war irgendwas im Zweiten Weltkrieg, heute ist er Rentner in einer Welt, der er den Krieg erklärt hat. Frau Eberwein ist Herr Eberweins Streitwaffe. Sie muss hinaus an die Front, während er seinen Wahnsinn pflegt. Seinen Morgenmantel trägt er wie eine Uniform, auch in seinem Gesicht ist alles straff.
»Sie wünschen?«
Er deutet auf seine Wohnungstür. »Unser Balkon«, sagt er.»Ihr werter Herr Gemahl besitzt wohl keinen Aschenbecher. Ich habe mit meiner Frau schon gesprochen: Wir werden ihm einen Aschenbecher aus Kreta mitbringen, mit einem griechischen Motiv. Glauben Sie, dass ihm ein geflügeltes Pferd gefallen würde? Pegasus, König der Lüfte.«
»Schön«, murmle ich und will die Tür wieder schließen, als er blitzschnell seinen Fuß auf die Schwelle stellt.
»Das war noch nicht alles«, sagt er. »Die Kippen auf unseren Balkon hinüberzuwerfen, ist keine Lösung, geschätztes Fräulein. Das möchte ich festhalten.«
»Wovon sprechen Sie?«
»Ihr Gemahl lässt uns unglückseligerweise an den Nebenwirkungen seiner Nikotinsucht teilhaben. Möchten Sie sich mit eigenen Augen überzeugen?«
»Danke, keine Zeit«, sage ich.
»Oho, Fräulein Arbeitslos ist schwer beschäftigt.« Er grinst. Hugo knurrt.
»Hugo merkt, wenn jemand lügt«, sagt er. »Er erschnüffelt das. Sie werden es nicht glauben, aber ich habe das mit ihm trainiert.«
»Wir waren das nicht. Brauchen Sie’s schriftlich?«
»Sie haben bestimmt eine entzückende Schrift«, sagt Herr Eberwein. »Aber ich würde doch gerne mit dem Herrn Gemahl persönlich sprechen.«
»Er ist nicht da. Wie kommen Sie auf die Idee, dass es seine Kippen waren?«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher