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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Milch getränkten Lappen. Grasflecken verschwinden, wenn man sie mit Gallseife vorbehandelt, vor dem Waschen Fleckenspray aufsprüht und zum Waschpulver noch Fleckensalz hinzufügt.
    Wenn alle Flecken entfernt sind, arbeite ich einer raschen Neuverschmutzung in die Hände. Ich stelle ein Glas mit Kirschsaft gefährlich nahe ans Bettsofa, ich öffne das Fenster, wenn die Feinstaubbelastung am höchsten ist, ich bitte Raoul, mit seinen Straßenschuhen über den Teppich zu laufen.
    Manchmal frage ich mich, was dabei rauskommt, wenn man einfach alles verdrecken lässt. Ob dieses Putzen dem Dreck vielleicht erst neue Nahrung liefert. Ob der Dreck, wenn man ihn nur lang genug liegen lässt, sich irgendwann plötzlich auflöst. Ob dann eine Art endgültige Sauberkeit eintritt, die automatisch immun ist gegen jede künftige Verschmutzung. Ein Krebs wächst in einem Leichnam schließlich auch nicht ewig weiter, irgendwann ist Schluss.
    Ich putze die Wohnung deutlich gründlicher als mich. Heute ist das Badezimmer dran. Die dunklen Fliesen sind eine Plage. Ich knie auf dem Boden und schrubbe jede Fliese mit einem Mikrofasertuch aus der NUBA-Kollektion. Damit meine Knie nicht schmerzen, lege ich Handtücher darunter.
    Das NUBA-System ist der letzte Schrei im Heimputzsektor. Wer damit putzt, erspart sich teure Putzmittel, die im Jahr auf gut und gerne 183 Euro kommen. Das behauptet zumindest Franziska von Herberstein, die eines Tages in der Wohnung stand und ihre Putzutensilien auspackte. Ich muss einen Blackout gehabt haben, als ich ihr die Tür öffnete. Selektive Amnesie. Ich war geblendet von ihrem Namen, der an Wasserschlösser denken ließ, an Rittersäle und tiefe Hofknickse. Vielleicht war sie eine verarmte Adelige, die in der Jugend darauf vertraut hatte, Prinzessin zu werden, um schließlich festzustellen, dass die Krise sämtliche Besitztümer hinweggerafft hatte. Jedenfalls war ich sofort eingenommen von ihrem eleganten Auftreten und schämte mich für unsere kleine Wohnung. Sie trug lange goldene Ohrgehänge, die klimperten, wenn sie zu Demonstrationszwecken mit dem Stiel unter der Bettcouch herumfuhrwerkte. Ich beeilte mich zu behaupten, dass wir nur vorübergehend hier wohnten, so lange, bis unsere Villa am Stadtrand eingerichtet sei. Frau von Herberstein nickte gutmütig, wahrscheinlich wurde ihr in jeder zweiten Wohnung diese oder eine ähnliche Lüge aufgetischt.
    »Das NUBA-System«, sagte sie und deutete auf den Stiel, »werden Sie in Ihrer Villa besonders gut gebrauchen können.« Sie fragte mich, wie groß die Villa sei, und ich sagte: einhundertsiebzig Quadratmeter, denn das erschien mir gerade angemessen.
    »Über zwei Etagen?«, fragte Frau von Herberstein, und ich antwortete: »Natürlich.«
    Dann, sagte sie, werde ich erst recht vom NUBA-System profitieren. Jede Frau, die schon einmal einen Staubsauger treppauf, treppab geschleppt habe, könne ein Lied singen vonden Beschwerlichkeiten des Putzens auf mehreren Etagen. Im Falle des NUBA-Systems bräuchte ich nur den Stiel in den ersten Stock hinaufzutragen, ein Kinderspiel, schließlich wiege er nur dreihundert Gramm.
    »Dreihundert Gramm!«, rief ich aus.
    Dreihundert Gramm, nickte Frau von Herberstein und hielt mir den NUBA-Stiel hin, damit ich ihn in meiner Hand wiegen konnte.
    Ich wusste nicht mehr, wie ich aus dieser Geschichte herauskommen sollte, und kaufte ihr aus Verlegenheit drei Mikrofasertücher ab – eins für die trockene Reinigung, eins für Fliesen, eins für Echtholzparkett, obwohl wir überhaupt kein Echtholzparkett besitzen. Der Stiel kostete 89 Euro extra. Ich trennte mich schweren Herzens von dem Geld, das mir Herr Othmar zur Bestreitung der Lebenskosten überwiesen hatte. Raoul und ich aßen die darauffolgenden Wochen hauptsächlich Tomatensuppe mit Reisknödeln. Dafür reinige ich unsere 56 Quadratmeter Laminat seitdem mit dem villentauglichen NUBA-System und hoffe inständig, dass sich Frau von Herberstein nie mehr in der Przewalskistraße blicken lässt.
    Raouls Schreibtisch ist für mich tabu. Aufeinandergestapelte Papiere, Briefe und Bücher bilden windige Bauten, die manchmal gefährlich schwanken, wenn ich mich mit dem NUBA-Stiel nähere. Die Papierinseln bilden konzentrische Kreise rund um das Herzstück, den Computer, der so harmlos aussieht, wenn er schläft.
    Ein Foto von uns beiden. Gerahmt. Ich, noch mit längeren Haaren, die vom Kopf abstehen wie eine Aureole, wegen des Windes. Raoul, der mir den Arm lässig um die

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