Südbalkon
Wo möchtest du in fünf Jahren stehen?«
Darüber habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Von mir aus kann es immer und immer so weiter gehen, je weniger Überraschungen mein Alltag bereithält, umso besser.
»Raoul«, sagt Maja, »möchte in fünf Jahren drei Angestellte haben. Was möchtest du?«
Ich sehe vier Männer vor ihren Bildschirmen in unserem Wohnzimmer herumlungern und sage: »Ich möchte das nicht.«
»Du möchtest also keine Angestellten«, sagt Maja.
»Ich möchte nicht, dass Raoul Angestellte hat«, sage ich. »Wo sollen wir die alle unterbringen?«
Das Existenzgründergespräch deprimiert mich jetzt schon. Vielleicht sollte ich auf meine Berufserfahrung zurückgreifen und meine Dienste als selbständige Todesanzeigen-Poetin anbieten. Individuelle Traueranzeigen-Lyrik jenseits der Zeitungsfloskeln. Krisenfest und Small-Talk-frei.
Maja zeigt auf ein Bücherbord in Birkennachbildung. »Passt perfekt in eure Wohnung. Da kannst du deine Buchhaltung unterbringen und Raoul die seine. Und bald steht da auch dein Businessplan, wetten?« Siegessicheres Lächeln.
Eine Jungfamilie mit Kleinkind betritt die Musterwohnung. Der Mann rüttelt am Hochbett, das sofort gefährlich zu wanken beginnt. Immer wieder äugt er zu uns herüber.
»Kümmern Sie sich nicht um uns«, sagt Maja. »Wir gehören quasi zur Einrichtung.«
Der Jungfamilienpapa sieht verstört zu Boden, seine Begleiterin starrt Maja offen an. Ich versuche es mit einem Ablenkungsmanöver.
»Das Bett ist sicher in Ordnung«, sage ich. »Sie dürfen nicht erwarten, dass hier alles stabil montiert ist.«
Maja prustet heraus. »Lässt sich hier überhaupt irgendetwas stabil montieren?« Maja steht auf abgefahrenes dänisches Design, auf großgemusterte finnische Stoffe und Kommoden aus Zebrano-Holz. In ihrer Villa im Speckgürtel der Stadt wurde rein gar nichts mit einem Inbusschlüssel zusammengeschraubt. Wenn Maja ihre ökonomische Überlegenheit hervorkehrt, macht sie es schwer für mich, sie zu mögen. Bevor sie Georg heiratete, war sie doch auch nichts und hatte nichts. Wir teilten ein gemeinsames Schicksal, die Nicht-Aufnahme in die Selma-Bande, und manchmal unser Pausenbrot.
Der Jungfamilienpapa hat sich daran gemacht, die Ausmaße von Wohnwand und Hochbett mit einem Metermaß aus Papier auszumessen. Er ruft seiner Frau die Zahlen zu. Sie notiert sie mit einem Bonsai-Bleistift auf einem der Notizblätter, die das Möbelhaus ausgibt. Das Kind wälzt sich währenddessen auf einem grünen Langflorteppich, der so aussieht, als könnte er kleinen Tieren dauerhaft Unterschlupf bieten. Das Kind trägt eine Brille, eine Seite ist abgeklebt: Miniaturpirat. Das Kind reißt dem Teppich einige Haare aus und steckt sie in den Mund.
»Könnte passen«, sagt der Jungvater, zufrieden mit dem Ergebnis seiner Messungen. Er trägt ein Holzfällerhemd und schwitzt stark.
Maja klopft auf ein Kissen. »Möchten Sie auch das Sofa testen? Wir stehen gerne für Sie auf.«
Der Mann lächelt das erste Mal. »Wenn Sie drauf sitzenbleiben, nehme ich es.« Bestimmt der frechste Flirtversuch, den er jemals gewagt hat. Auf jeden Fall der frechste in Gegenwart seiner Frau. Als er das selbst registriert, errötet er bis über beide Ohren. Seine Frau reißt ihm das Metermaß aus der Hand.
»Hast du es nicht gesehen? Pauli isst den Teppich auf! Und wer kann wieder mit ihm in die Notaufnahme fahren? Wer?« Die Frau zieht das Kind hoch und schleift es aus der Musterwohnung. Der Mann folgt den beiden mit einigem Sicherheitsabstand. Als er Maja einen Abschiedsblick zuwirft, hebt sie nur bedauernd die Schulter, Marke Jeder ist für sein Unglück selbst verantwortlich.
»Ich rate dir dazu, einen kleinen Schreibtisch zu besorgen«, sagt Maja. »Der Schreibtisch ist dein Büro, dort verstaust du deine Unterlagen. Du solltest einen Ort haben nur für dich und deine Arbeit.«
Der einzige Schreibtisch, der mir je exklusiv zur Verfügung stand, war jener in der Todesanzeigenredaktion. Er stand in einer dunklen Kammer, das einzige Fenster ging in einen schmutzigen Innenhof. Die Herausgeber der Zeitung dachten wohl, Todesanzeigen benötigten keinen Glamour, und eine freundliche Umgebung könne sich kontraproduktiv auf das Gemüt der Hinterbliebenen auswirken. Wann immer ein Angehöriger an die Tür der Kammer klopfte, kauerte ich mich innerlich zusammen und schämte mich im Voraus für die schäbigeUmgebung. Dabei achteten sie meistens gar nicht darauf. Sie diktierten mir mit
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