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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Stimme sagt: »Es wird alles gut, alles wird gut.«
    Ich öffne die Augen und blicke in das freundliche Gesichtder jungen Frau. Das Baby muss sich schon vor einiger Zeit beruhigt haben, von Tränen keine Spur.
    »Jetzt kommen Sie erst einmal mit hinein«, sagt die junge Frau. Sie stellt die Mineralwasserflaschen ab, hebt ihr Baby aus dem Wagen und trägt es in die Wohnung. Ich folge ihr wie hypnotisiert und bin froh, dass sie mir sagt, was ich tun soll.
    An den Wänden im Flur hängen Poster hinter Glas. Schwarze Katzen auf weißen Mauern, Meer, Himmel. Alles wirkt aufgeräumt und geordnet. Die Frau bittet mich in ihre Wohnküche. Sie setzt Fanny in den Hochstuhl und deutet auf die Sitzecke.
    »Ich mache uns Kaffee«, sagt sie, und ich freue mich, dass sie nicht entsetzt ist über meinen Auftritt, sondern mich voller Fürsorge behandelt, fast wie ein zweites Kind.
    »Zucker, Milch?«, fragt sie und lacht: »Ich bin übrigens Simone.«
    »Ich heiße Ruth.«
    Sie nickt und sagt: »Ruth, was für ein schöner Name.«
    »Das höre ich nicht oft«, sage ich, und sie sagt: »Ruth bedeutet Freundschaft, kann es einen schöneren Vornamen geben?«
    Sie setzt sich zu mir. »Das hast du übrigens gut gemacht mit Fanny, das muss man dir lassen«, und dann lachen wir alle drei, sogar Fanny gluckst und klopft mit ihren Händchen auf den Tisch.
    Ich fühle mich aufgehoben und beschützt, sehe dieser jungen Frau zu, die mit größter Selbstverständlichkeit in ihrer Küche hantiert, und frage mich, ob sie mit derselben Selbstverständlichkeit ihr Leben ordnet, sogar den Kaffee rührt sie zugleich elegant und entschieden um.
    »Wohnst du hier im Haus?«, fragt Simone.
    »Ich bin nur auf Besuch«, antworte ich, und dann fällt mir wieder ein, weshalb ich überhaupt hier bin, und ich frage sie, ob sie eine Frau Preblauer kenne, die kürzlich im Haus ein Büro für Gründerberatung eröffnet habe.
    Simone überlegt. »Die hübsche Dunkelhaarige aus dem dritten Stock mit diesem –?« Sie hält die Handflächen an ihre Ohren.
    »Bob«, sage ich.
    »Sie scheint nett zu sein«, sagt Simone.
    Simone sieht nicht aus, als interessiere sie sich für Gründerberatung. Ich vermute, dass sie ein Studium abgebrochen hat, irgendwas Philanthropisches, Psychologie oder Pädagogik.
    »Was machst du so im Leben?«, frage ich.
    Simone zeigt auf Fanny: »Darf ich vorstellen? Mein Beruf.«
    Sie lacht.
    »Und davor?«
    »Davor? Davor habe ich mich auf das Kind vorbereitet. Mein Leben lang habe ich mich auf dieses Kind vorbereitet. Klingt verrückt, ich weiß.«
    »Klingt gar nicht verrückt«, höre ich mich sagen. Und dass ich mich doch auch selbst auf ein Kind vorbereite, lange schon, und dass irgendwas an meiner Vorbereitung falsch sein müsse, schließlich hätte ich bis heute kein Kind, auch wenn es fast einmal soweit gewesen wäre. Ich lache, doch es ist ein zerbrochenes Lachen. Simone nickt, fährt sich durch das Haar und mustert mich, als suche sie nach verborgenen oder verschleppten Krankheiten.
    »Komm mit«, sagt sie plötzlich und hebt Fanny aus dem Kinderstuhl.
    Ich folge den beiden ins Wohnzimmer, in einen Raum, der offensichtlich als Wohnhöhle dient. Überall sind Tagesdecken und Kuscheldecken ausgelegt, sogar auf dem Langflorteppich. Simone legt Fanny bäuchlings auf eine babyblaue Decke und setzt sich daneben auf den Boden.
    Sie sieht zu mir hoch. »Das ist mein Geschenk an dich«, sagt sie. »Sieh genau hin.« Sie arrangiert ihre Beine zu einer Art Knoten und legt ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf ihre Knie. So bleibt sie sitzen, unbeweglich, und auch Fanny ist still und betrachtet die Fäden des Teppichs.
    Ich sehe genau hin, komme aber nicht dahinter, was sie meint. Simones Augen sind geschlossen, ihre Gesichtszüge entspannt. Ich taste unvermittelt nach dem Stofftaschentuch in meiner Hosentasche. Alles noch da. Vielleicht sollte ich mich rasch verabschieden, der Friede in dieser Wohnung ist kaum zu ertragen.
    Simone aber öffnet bereits die Augen und klopft mit der Hand auf den Teppich.
    »Setz dich«, sagt sie, »jetzt bist du dran.«
    »Womit?«
    Ich knie mich umständlich auf den Boden und Simone sagt: »Sehr gut.« Es will mir nicht gelingen, meine Beine so zu verknoten wie sie, also begnüge ich mich mit dem Schneidersitz.
    »Ich zeige dir die Glücksatmung«, sagt Simone. Sie sitzt kerzengerade da, wie mit der Wasserwaage austariert. »Das geht so: Du atmest ein, ganz bewusst. Stell dir vor, dass du Schmerz

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