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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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der in einem Vanillesaucen-See schwimmt, so muss es sein. Alles ist brennend heiß, der Fluch der Mikrowelle, aber gut so, ich mag es heiß. Die süße Sauce läuft mir übers Kinn, die Federfrauen beäugen mich misstrauisch. Das macht mir nichts aus, schließlich hab ich ihnen einiges voraus: Ich habe soeben einen Pfleger an der Hand berührt, der sie demnächst ins Bett hieven und ihnen die Leibschüssel unterschieben wird. Er wird versuchen, sie von ihrem Hut zu trennen, ganz vorsichtig, aber sie werden es bemerken und aufschreien, so wie Fanny aufgeschrien hat, als ich ihr die Wollmütze vom Kopf streifte. Dieser Pfleger hat mich berührt, wie er euch niemals berühren wird, denke ich, und das ist mir eine Genugtuung. Ich sehe der Federführenden frech in die Augen, und selbst als sie die Braue hebt, sehe ich nicht weg.
    Die Vanillesauce legt eine süße Schicht über die letzte Stunde, die harten Konturen verschwimmen, wie schnell ändert sich der Blick auf das, was war. Wäre die Verkäuferin nicht plötzlich in den Raum getreten, hätten wir uns geküsst, zweifellos. Die beiden Finger im Mokkalöffelbett waren der Anfang, und das Ende ist offen. Vielleicht werden wir uns wieder am Krankenhausgang treffen, eine Reminiszenz an unser Kennenlernen, vielleicht werden wir uns lieben, dort auf dem Gang, und unser Stöhnen wird sich mit dem Stöhnen der Patienten in ihren Zimmern vermischen, und keiner wird unterscheiden können, was Lust ist und was Schmerz.
    Der Markus sei doch sonst so ein Braver, sagt die Taubenfeder. Nie habe er die Luise betrogen, das sei ihm auch nicht anzuraten. Drohender ausgestreckter Zeigefinger. Nie! Die anderen pflichten ihr bei, so als lägen sie regelmäßig bei Markus unterm Bett.
    Ich blicke auf mein Handy, und genau in diesem Augenblick wird es lebendig. Eine Nachricht von Raoul: »Ich vermisse Dich.«
    Die Vanillesauce schmeckt plötzlich bitter. Ich lege den Löffel zur Seite. Habe ich mir etwas vorzuwerfen? Ich betrachte meine Hände. Sie sehen aus wie immer, aber vielleicht hat Pawel unsichtbare Fingerabdrücke hinterlassen, die unter Raouls genauem Blick wieder zum Vorschein kommen wie Zaubertinte.
    Ich beschließe, zur Sicherheit meine Hände zu waschen, und dränge mich durch zwei Tischreihen auf die Miniaturtoilette. Die Vanillesauce liegt mir schwer im Magen. Ich streife eine der Gefiederten, ein Wasserglas schwappt über. Böse Blicke. Sie sehen mich an, als hätten sie mich durchschaut. Sie erkennenauf einen Blick, dass ich ein Fremdkörper bin, nicht nur hier im Rigoletto, sondern ein Fremdkörper in meinem eigenen Leben. Ein anderer hätte bestimmt etwas daraus gemacht, das wissen alle hier, ein anderer als ich hätte etwas Ordentliches aus diesem Leben gemacht, das ist so sicher wie das Amen im Gebet.
    Ein winziger Vorraum empfängt mich, ein Puppenwaschbecken und eine Toilette, die besetzt ist. Ich drehe am Wasserhahn, um meine Hände von den verräterischen Spuren zu säubern. Sofort spritzt eine Fontäne über das viel zu kleine Waschbecken hinaus, und ich springe zurück, um meine Kleidung zu schützen. In diesem Moment spüre ich auch schon den Schlag, gefolgt von einem scharfen Schmerz in der Lendengegend. Die Frau aus der Toilette hat ruckartig die Toilettentür geöffnet und mir die Klinke in den Rücken gerammt. Der Schreck ist größer als der Schmerz, dennoch krümme ich mich zusammen, und die Frau weicht bestürzt zurück.
    »Entschuldigen Sie, ich wusste nicht …«, flüstert sie, dabei ist sie doch unschuldig, wenn einer schuld ist, dann der Baumeister dieser Zwergenlokalität. »Hab ich Sie verletzt?«, fragt sie. »Haben Sie Schmerzen?« Sie trägt keinen Hut, und auch sonst ähnelt sie in keiner Weise dem Publikum auf der anderen Seite der Tür. Sie trägt hochhackige Pumps und ein Sommerkleid mit einem dünnen schwarzen Cardigan, viel zu elegant für das Rigoletto.
    Ich winke ab.
    »Es geht schon«, sage ich, »alles in Ordnung.« Ein verräterischer Satz, denn in Wirklichkeit ist nichts in Ordnung.
    »Ich mache mir Vorwürfe«, sagt die Frau und berührt mich am Arm. »Ich sehe doch, dass Sie Schmerzen haben.«
    Ja, ich habe Schmerzen, will ich sagen, aber die Ursache liegt nicht in diesem lächerlichen Unfall. Es sind meine Gefühls-Gefäße, die schmerzen, und kein Arzt in Griffweite, der sie verschmelzen kann, von mir aus darf er sie auch aus dem Körper ziehen, ich brauche sie nicht mehr. Ist es das, was das Leben bieten kann, ein ständiges

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