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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Worte quellen aus allen Ritzen hervor, ihre Bekenntnisse will ich nicht hören. »Du bist keine Freundin«, sage ich. »Du nutzt alle aus, mich zu allererst, du missbrauchst mich, Georg, alle rund um dich! Du bist ein Blutsauger, du willst den anderen nichts Gutes! Und was hast du mit Raoul zu schaffen, lass die Finger von ihm, lass die Finger von meinem Leben, was glaubst du, wer du bist?«
    Du. Du. Du. Erspare ihr nichts, sprich über dich, sag ihr, wie verletzt du bist, zeig ihr deine Narben, deine frischen Wunden.
    »Wenn du eine Freundin wärst, hättest du –« Und dann stocke ich. Aus dem Hörer dringt nur tuuut-tuuut-tuuut .
    Jetzt erst weiß ich, was man unter Herzschmerzen versteht. Jeder Schlag ein spitzes Stechen. Als ich zu meinem Platz in der Ecke des Zimmers zurückkehre, ist die Wand kalt und abweisend. Ich hauche noch einmal »Pawel«, aber ich komme mir lächerlich vor dabei, die Magie ist verbraucht.
    Ich öffne die Balkontür. Während der Bezirk bereits im Schatten versinkt, badet das Schütte-Lihotzky-Haus noch im Nachmittagslicht. Die Sonne geht auf, und sie geht unter und kümmert sich einen Dreck darum, was sie bescheint. Da fällt mir ein, dass ich Judith Wessely und Moritz für morgen Nachmittag eingeladen habe, was für eine Schnapsidee. Ich mussnoch Dosenobst für den Kleinen kaufen, Dosenananas, Dosenkirschen, Apfelmus im Glas. Wir haben selten Besuch, weil ich davon überzeugt bin, dass nichts gut genug ist, was ich auftischen kann, also kaufe ich gleich Minderwertiges. Auf diese Weise kommen die Gäste immer nur wegen mir, niemals wegen des Essens oder anderer Spitzfindigkeiten.
    Gerade als ich in die Schuhe schlüpfen will, läutet wieder das Telefon, und ich atme tief durch, bestimmt ist es Maja.
    Ich hebe ab und sage: »Sei ehrlich zu mir, mehr verlange ich nicht«, und eine sonore Männerstimme sagt: »Aber immer, liebes Fräulein.« Dröhnendes Lachen. Und nach einer Pause: »Hier spricht Walter Frohnleiten.«
    Ich kenne keinen Walter, also warte ich ab, ungeduldig, den Einkaufskorb am Arm. Der Mann räuspert sich.
    »Frohnleiten«, wiederholt er und zieht das »o« in die Länge. »Raiffeisenbank Stoldering.«
    Ach, der gefräßige Herr Bankdirektor. Was will er? Sich von mir den Segen holen für seine unselige Beziehung? Ich habe Lust, sofort wieder aufzulegen, ein frustrierendes Telefonat am Tag reicht vollständig aus, er aber sagt schnell: »Geben Sie mir eine Sekunde.«
    »Ich höre«, sage ich.
    »Unsere erste Begegnung war ein wenig – unglücklich«, sagt er. »Ich kann Ihnen versichern: Ich hätte es liebend gern gesehen, dass Sie es auf andere Weise erfahren. Sie sind ja die einzige Tochter.«
    »Haargenau«, sage ich. »Ich bin die einzige Tochter meiner Mutter und meines Vaters.« Ich fühle mich verpflichtet, meinen Vater in dieses Gespräch miteinzuflechten, ihm eine Stimme zu verleihen, schließlich ist er der Betroffene, und keiner,auch kein Raiffeisenbankdirektor, hat das Recht, ihm den Platz innerhalb der Familie streitig zu machen.
    »Sie werden immer Ihre Eltern bleiben«, sagt Herr Walter, und er klingt wie jemand, der einem Kind die Trennung der Eltern beizubringen versucht.
    Mir wird übel, ich setze mich auf den Rand der Bettcouch und sehe hinauf zum griechischen Neon-Teller, der auf einmal kein Siegeszeichen mehr ist, sondern ein Zeichen der Niederlage und der Zerstörung.
    »Ihre Mutter und ich, wir werden nächstes Jahr in eine kleine Wohnung ziehen«, sagt Herr Walter.
    Ich kann nicht fassen, was ich da höre. Was ist mit Papa? Da schleppt man sich beinahe vier Jahrzehnte durch ein Ehe-Derby, nur um in der Nachspielzeit gegen einen schmierigen Bankdirektor zu verlieren. Ich sehe den Herrn Walter vor mir, wie er ein Grießnockerl nach dem anderen in seinen Mund stopft, unersättlich greift er nach meiner Mutter, als die Suppe aufgegessen ist, jetzt wird er sie verschlingen und den Rest der Familie ausspucken wie kleine Knochen.
    »Ich weiß, dass ich auf Sie zählen kann«, sagt Herr Walter. »Ihrer Mutter geht es momentan nicht gut, wie Sie sich sicher vorstellen können. Aber unsere Liebe ist stärker als …« Seine Stimme zittert. Nicht flennen, das fehlte gerade noch.
    »… stärker als der Berg«, sagt er. Der Berg? Welcher Berg? Soeben wollte Maja in die Felsspalte, jetzt bemüht auch der Raiffeisenbankdirektor ein abgeschmacktes Naturbild.
    Tiefes Seufzen am anderen Ende der Leitung.
    »Elfi braucht noch einige Zeit, um sich von ihrem alten

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