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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Leben zu verabschieden«, sagt Herr Walter. »Diese Zeit möchte ich ihr gerne schenken. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob es fürSie in Ordnung ist, wenn ich vorübergehend in Ihrem Zimmer schlafe.«
    »In meinem Zimmer?« Meine Stimme ist schrill. »Wieso in meinem Zimmer?« Ich verstehe nicht.
    »Nun, im Bett Ihrer Mutter kann ich nicht schlafen. Da ist doch Ihr Vater«, sagt Herr Walter.
    »Wie? Sie ziehen zu meinen Eltern ins Haus?«
    Ich fasse es nicht. Mit dem Handy am Ohr laufe ich in die Küche und durchstöbere den Schrank über der Spüle. Dort hatte ich erst kürzlich einen Brandy entdeckt.
    »Schauen Sie: Wir wollen doch niemandem weh tun«, sagt Herr Walter. »Ich respektiere die Wünsche Ihrer Mutter und Ihres Vaters gleichermaßen. Und wenn sich die beiden noch ausführlich voneinander verabschieden wollen, dann sollen sie das tun. Nur eine Bitte: Darf ich Ihren Schrank ausräumen und Ihre Kleider im Keller lagern? Ich brauche Platz für meine Anzüge, das werden Sie sicherlich verstehen. Natürlich warte ich mit dem Ausräumen, bis Sie Zeit haben vorbeizukommen.«
    Nicht nur, dass er seinen säuerlich riechenden Altherrenkörper in mein Jugendbett zwängen wird – nein, er macht sich bereits daran, meine Erinnerungen auszulöschen und durch seine bügelfreien Hemden zu ersetzen.
    Ich trinke den Brandy direkt aus der Flasche. Er entfacht ein Lagerfeuer in meinem Magen.
    »Tun Sie sich keinen Zwang an«, sage ich.
    »Das bedeutet – Sie erlauben es mir?«
    »Ein Kinderzimmer gehört einem nicht mehr, wenn man erwachsen ist«, sage ich und liefere ihm damit sogar noch das Unterfutter für sein Vorhaben.
    »Ich werde mich erkenntlich zeigen«, sagt Herr Walter, undich sage automatisch: »Ich mich auch«, obwohl das die falsche Replik ist, ganz verkehrt. In meinen Gedanken bin ich aber bereits woanders: Ich sehe die drei vor unserem froschgrünen Waschbecken stehen, Mama, Papa und Herrn Walter, die elektrischen Zahnbürsten in der Hand, ein Seniorentrio im Pyjama, das sich bereit macht für die Nacht, schicksalhaft verbunden durch eine alte und eine neue Liebe.
    Ich höre Herrn Walter am anderen Ende der Leitung schnaufen, worauf wartet er bloß.
    Ich sage leise: »Machen Sie, was Sie wollen«, und beschließe, nur noch dieses letzte Mal in mein Kinderzimmer zurückzukehren, nun, da es für alle Zeiten beschmutzt ist. Ich überlege, mit meiner Mutter ein ernstes Wort zu reden, doch der Brandy bringt meine Gedanken durcheinander. Es berührt mich jetzt bereits unangenehm, in das wirre Liebesleben der Eltern hineingezogen zu werden.
    »Ich muss jetzt los«, sage ich.
    »Auf Wiedersehen, Ruth«, sagt Herr Walter.
    Er nennt mich bereits bei meinem Vornamen. Das nächste Mal wird er mir das Du anbieten, und ich werde es nicht ablehnen können, schließlich ist er so etwas Ähnliches wie ein Reservevater, auch wenn keiner ihn gerufen hat. Mein Ohr steht in Flammen, so fest habe ich den Telefonhörer dagegengepresst.

21
    Obwohl er noch leer ist, fühlt sich der Einkaufskorb schwer an, ich trage ihn alle paar Schritte in der einen, dann in der anderen Hand, und es kommt mir so vor, als säßen sie alle drin: Raoul, der mir seine Arme entgegenstreckt und »Mein Symptombündel, mein Symptombündel!« ruft; Maja, die »Hattet ihr Sex?« quäkt; Herr Walter im Raiffeisenbankdirektorsanzug, der »Ich wohne ab jetzt in deinem Zimmer!« skandiert. Drei Kobolde, die mir das Leben schwermachen und irgendwann nur noch »Ruth!« rufen, und das »u« ist wie ein Schlag mit einem nassen Handtuch.
    Alles Gelb, gelbes Blech rund um mich, und eine ältere Frau mit Kurzhaarschnitt und runder Brille hält mich am Arm und sagt zu jemandem, der außerhalb des Bildes steht: »Ihr ist schlecht geworden, schlecht ist ihr geworden.« Ich lehne an einem alten Postkasten, blicke auf einen Briefschlitz, der mit Tesafilm zugeklebt ist. Ich erkenne ihn wieder, es ist der Postkasten an der Ecke Palffygasse und Przewalskistraße.
    »Es geht schon wieder«, sage ich und greife zum Einkaufskorb, den die Frau an sich genommen hat, alles noch drin, die abgewetzte Geldbörse, die Schlüssel am schweren silbernen Hotel-Schlüsselanhänger, den Raoul auf einer Reise hatte mitgehen lassen.
    »Trinken Sie etwas, Fräulein«, sagt die Frau und klopft mir auf die Schulter. »Trinken hilft immer. Die jungen Leute trinkenzu wenig heutzutage. Wasser ist Treibstoff für den Kreislauf.« Sie führt ein imaginäres Glas zum Mund.
    Ja, ich habe

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