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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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verstanden.
    »Aber keinen Alkohol, hören Sie? Haben Sie etwa Alkohol getrunken?« Durchdringender Blick. Jetzt erst bemerke ich, dass ich eingekreist bin von Passanten, die mich anglotzen.
    »Natürlich nicht«, sage ich. »Ich trinke nie Alkohol.«
    Die Frau nähert sich mir, als ob sie meinen Atem schnuppern wollte, die Neugier und das Entsetzen sind ihr ins Gesicht geschrieben. Ich beeile mich, an ihr vorbei auf die Fahrbahn zu schlüpfen und die Palffygasse zu überqueren. Weg, nur weg hier. Ich spüre die Blicke der Menschen, sie stechen mir in den Rücken, als ich über die Straße gehe, bestimmt tuscheln sie noch über meine Trinkgewohnheiten und meinen unzuverlässigen Kreislauf zu Lasten der Allgemeinheit.
    Ich fühle mich erst besser, als ich den Cento-Markt betrete. Kühle Luft aus der Klimaanlage empfängt mich und eine Synthesizer-Version von Berry Manilows »Mandy«. Ich steuere auf den Gang mit den Dosen zu, da ist auch schon das Obst: Ananas, Sauerkirschen, Marillen, Apfelmus mit und ohne Zucker, haltbar bis ins Jahr 2019. Ich werde mich verändert haben, mein Passbild wird ein anderes sein, Falten werden sich um meinen Mund gegraben haben, rund um meine Augen werden sich Schatten und Polster gebildet haben, und die Ananas in der Dose wird unverändert sein in Farbe, Konsistenz und Geschmack. Ich lege zwei Ananaskonserven in meinen Korb, dazu noch eine Dose Kirschen und ein Birnenkompott.
    Ich sehe sie im gegenüberliegenden Gang auftauchen, es ist der Gang der Süßigkeiten und Kekse, den ich tunlichst zu umgehen versuche. Wie aus dem Ei gepellt steht sie vor dem Schokoladenregal,Sekretärinnenkostüm und High Heels: Judith Wessely, ohne Kind, dafür mit Einkaufswagen, in dessen Kindersitz sie ihre Tasche verstaut hat, als ob sie den Anblick eines leeren Kindersitzes nicht ertragen könnte.
    In einem ersten Impuls will ich auf sie zustürzen, doch in meinem Aufzug kann ich mich unmöglich sehen lassen, schon gar nicht von ihr. Und vielleicht stinke ich zu allem Überfluss tatsächlich nach Alkohol, ich hauche in meine Hand, aber es riecht nur nach Handcreme und nach Staub. Als ich wieder aufblicke, steuert Judith mit schnellen Schritten ihren Wagen auf den Ausgang zu. Ich sprinte von einem Gang zum nächsten und wundere mich. Ihr Einkaufswagen ist leer, weshalb stellt sie sich an der Kasse an? Jetzt legt sie etwas aufs Förderband, etwas Schmales, Kleines.
    Ich warte, bis sie den Cento-Markt verlassen hat, dann zahle auch ich. Auf der Straße bläst mir der Spätsommerwind entgegen, kein Barry Manilow mehr, sondern ein vielstimmiges Motorenorchester der Autos, die sich durch die Palffygasse quetschen. Ich könnte bei Raoul vorbeischauen, jetzt, da er von Sehnsucht geplagt ist, und ich schon den halben Weg zum Krankenhaus zurückgelegt habe. Ein unverfänglicher Angehörigenbesuch.
    Der Korb mit den Obstkonserven ist schwerer, als ich dachte. Im Kaminsky-Park raste ich kurz hinter der Büste von Franz von Suppé. Es kommt mir vor, als hätte der alte Herr Moos angesetzt, an seinem Hals ziehen sich grüne Flechten hinauf zu den Ohren. Automatisch nehme ich meine eingelernte Pose ein, Kopf einziehen, Arme nah an den Körper, hinter der Schulter der Büste vorbeilugen.
    Eine Frau, die Judith Wessely ähnlich sieht, trippelt denZaun des Krankenhausparks entlang. Sie hält ihre Handtasche am Schulterriemen fest und den Kopf gesenkt. Ihre Absätze machen kraschkrasch auf dem Kiesweg. Als sie auf ihre Uhr sieht, kann ich sie im Profil betrachten. Es ist Judith. Was hat sie hier zu suchen? Schon steigt sie die Stufen zum Eingang des Krankenhauses hinauf, und ich eile hinterher, den Korb mit den Obstkonserven in der Armbeuge wie ein fehlgeleitetes Rotkäppchen.
    Als ich keuchend die Magenbuch-Klinik betrete, sind Stunden- und Minutenzeiger auf der Bahnhofsuhr am Ende des Flurs stramm auf einer Linie. Sechs Uhr.
    Judith ist bereits im Labyrinth der Gänge verschwunden. Ich beschließe, einen anderen Weg zu nehmen. Durch das Erdgeschoss, denn auf diese Weise komme ich an Pawels Kammer vorbei.
    Die Vorfreude lässt mein Herz erzittern. Doch die Tür zu seinem Arbeitsraum, die das letzte Mal offenstand und den Blick freigab auf Pawels Arbeitsplatz, ist geschlossen. Ich klopfe zaghaft. Keine Reaktion. Ich drücke die Türklinke hinunter. Versperrt. Weiter zum Lift. Die Luft hängt schwer zwischen den grauen Wänden. Eine Krankenschwester begleitet eine Frau, die sich in Trippelschritten an der Wand entlangtastet,

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