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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Ehepaar?« Auch ich senkte die Stimme.
    »Das hört man doch!«, sagte Frau Aldinger.
    »Haben sie bestimmte Ausdrücke gebraucht?«, sagte Sonja. Sie sprach in normaler Lautstärke.
    »Was für Ausdrücke?« Frau Aldinger faltete die Hände, spitzte die Lippen. »Sie haben keine Ausdrücke gebraucht. Jedenfalls keine unanständigen, wenn Sie das meinen. Die eine hat ein paar Mal gesagt, dass sie die andere dann verlässt…«
    »Wie bei einem Ehepaar«, sagte ich schnell.
    »Genau, wie bei einem Ehepaar. Wenn du das und das nicht machst, verlass ich dich, dann ist Schluss, endgültig.«
    »Hat eine der beiden Schwestern das gesagt?«, wollte ich wissen.
    Ich sah sie ihn, sie mich auch, aus kleinen Augen.
    »Ja, ja«, sagte sie. Noch leiser als zuvor. »Es war von Schluss die Rede, Schluss und endgültig, ja…«
    »Was noch?«, sagte Sonja.
    »Sie haben sich gezankt, basta!«, sagte Frau Aldinger.
    Kaum waren wir ins Auto gestiegen, hupte jemand. Sonja hatte das Fenster runtergelassen und winkte den Fahrer vorbei. Er hupte noch einmal, diesmal heftiger, und ließ den Motor aufheulen.
    »Und dann mach ich Schluss mit dir«, sagte Sonja.
    »Klingt nicht nach Ehepaar«, sagte ich, »klingt nach Beziehung.«
    Sie seufzte, lehnte sich zurück, umklammerte das Lenkrad, blickte hinüber zum grünen Haus, in dem wir gerade gewesen waren. Nebenan, in einem Neubau, befand sich im Parterre ein Kosmetikstudio. Frauen gingen ein und aus.
    »Wenn ich in meiner neuen Wohnung bin, lasse ich mir die Wimpern und die Augenbrauen färben«, sagte Sonja. Ich schwieg.
    Meine schwarzen Jeans waren mir zu eng. Ich nestelte am Gürtel, dann öffnete ich den obersten Knopf. Sonja sah hin. Sagte aber nichts.
    »Ich hab angekörpert«, sagte ich.
    Sie sagte: »Ich kannte Sie früher nicht.«
    Langsam ging die Sonne unter. Aus der griechischen Taverne wehte der übliche Geruch herüber, mindestens zweihundert Meter weit. Sonja verzog das Gesicht.
    »Hunger?«, sagte ich.
    »Nicht darauf.« Sie wandte mir den Kopf zu, verharrte und sah wieder nach vorn. »Ich bin weg vom Mord, weil ich mich auch mal mit den Biografien von Lebenden beschäftigen wollte. Aber es ist offenbar sehr seltsam, sich mit den Biografien von Verschwundenen zu beschäftigen, die sind sehr widersprüchlich. Jeder Freund, jeder Angehörige, sogar der Ehepartner, scheint eine eigene Version zu haben. Dieses Mädchen, das Sie heute eingefangen haben, was hat die Ihrer Meinung nach für eine Biografie?«
    »Ich weiß, wie alt sie ist«, sagte ich, »ich weiß, auf welche Schule sie geht, welche Noten sie hat, was ihre Eltern beruflich machen. Ich weiß, dass sie keine Drogen nimmt, noch nicht, und ich weiß, dass sie eine Dauerläuferin ist.«
    »Aber warum?«
    Ich sagte: »Das weiß ich nicht. Unsere Aufgabe ist es, Vermisste zu finden. In ihr Leben zurückkehren müssen sie schon selbst.«
    »Sie sind schon lang im Hundertvierzehner.«
    »Elf Jahre.«
    »Warum haben Sie auf der Straße so geschrien?«
    Wieder hupte jemand. Sonja streckte den Arm aus dem Fenster und winkte. Der Fahrer hupte zweimal und ließ den Motor aufheulen. Vielleicht war das in diesem Viertel so Sitte.
    »Kennen Sie die Geschichte von Echo?« Sonja sah mich an. Schüttelte den Kopf.
    »Ich hatte plötzlich den Eindruck, in mir nimmt ein Echo Gestalt an. Ich konnte es nicht verhindern.«
    »Ah ja«, sagte sie. Dann sagte sie nichts mehr.
    »Sie wollte nichts Böses«, sagte ich. Sie sagte: »Wer?«
    »Echo«, sagte ich. Sonja wandte den Blick ab, sank in den Sitz des Wagens und wartete. Als ich nicht anfing zu sprechen, gab sie mir mit der Hand ein Zeichen.
    »Echo, die Nymphe«, sagte ich. Streckte die Beine aus, hakte meinen rechten Daumen in den Gürtel, versuchte diesen zu lockern. Erfolglos. »Sie wollte ihrem Gott eine Freude machen. Er war ein Charmeur, die Mädchen und Frauen mochten ihn sehr, er konnte gut erzählen und sah besser aus als jeder andere in der Gegend. Echo hatte mitgekriegt, dass Jupiter sich in den schattigen Winkeln der Berge mit den Nymphen traf, mit mehreren auf einmal, daran hatte er besonderen Spaß, sie amüsierten sich alle, und Echo störte sie nicht. Sie hatte nämlich etwas Wichtigeres zu tun, sie musste Jupiters Frau daran hindern, ihrem untreuen Gatten auf die Schliche zu kommen. Echo machte das freiwillig. Jupiter hatte sie nicht beauftragt, es war ihr Zeitvertreib. Sie war eine übermütige Nymphe, sie foppte gern Leute, und meistens gelang ihr das auch. Dann kicherte

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