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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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es noch nie gegeben hat, auch nicht gibt. Ihr Mann hat sich nicht in Luft aufgelöst, er ist nicht weggeflogen wie der arme Robert mit seinem Schirm, er ist auch nicht von Außerirdischen verschleppt worden, er hat keine Sachen mitgenommen, mein Kollege Süden hat das deutlich in seinem Bericht geschrieben, Ihr Mann hat nichts weiter an als ein Hemd, eine Hose und einen Hut auf dem Kopf. Also hatte er nicht vor zu verreisen. Nein. Für mich bleiben nur zwei Möglichkeiten im Moment, und ich werd Ihnen die nennen, auch wenn sie hart klingen, Sie müssen begreifen, dass wir hier sehr ernsthaft unsere Arbeit machen und uns bemühen, unsere Fälle so rasch und effizient wie möglich aufzuklären. Ihr Mann, Frau Korbinian, hat entweder Selbstmord begangen, und dann wussten Sie von seinen Absichten, hundertprozentig, oder er ist einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Frau Korbinian, halten Sie es für möglich, dass Ihr Mann Selbstmord begangen hat?«
    Sie hatte beide Hände auf ihre Handtasche gelegt und den Kopf gesenkt, nun hob sie ihn und sah erst mich, dann Thon an. »Nein«, sagte sie.
    »Hat er nie Andeutungen in diese Richtung gemacht?«
    »Nein. Mein Mann hat sich nicht umgebracht, er war immer gern am Leben.« Wieder schaute sie zu mir. »Er ist jeden Tag gern in die Arbeit gegangen, für ihn ist jeder Tag voller kleiner Überraschungen, er hat keinen Grund, sein Leben hinzuschmeißen. Er hat nie Andeutungen gemacht, wie Sie ihm unterstellen wollen…« Sie sah Thon in die Augen und dann an ihm vorbei zum Fenster.
    »Und ich weiß nicht, wo er ist, ich warte auf ihn. Und ich glaub auch nicht, dass ein Verbrechen passiert ist, Zeugen haben ihn doch gesehen!«
    »Die Zeugen können sich getäuscht haben«, sagte Thon.
    »Das glaub ich nicht«, sagte Olga Korbinian.
    »Hat übers Wochenende jemand bei Ihnen angerufen?«, sagte ich. »Jemand, der vielleicht Ihren Mann gesehen hat.«
    »Nein.«
    »Sie haben keinen einzigen Anruf erhalten?«, sagte Thon, hob ungläubig die Arme und schüttelte den Kopf.
    »Doch«, sagte sie. »Es war aber niemand dran.«
    »Wann war der Anruf?«, sagte Thon.
    »Samstagnacht. Und Sonntagmorgen.«
    »Sie haben den Hörer abgehoben«, sagte ich, »und jemand hat aufgelegt.«
    »Ich hab Hallo gesagt und dann hab ich das Knacken gehört.«
    Ich sagte: »Kommt so etwas öfter bei Ihnen vor?«
    »Bis jetzt nicht.«
    »Glauben Sie, es war Ihr Mann?«, sagte ich.
    »Wer denn sonst?«, sagte sie.
    Er stand mit dem Gesicht zur Wand, barfuß, in seiner zerschlissenen grauen Haushose und einem olivgrünen Sweatshirt, mit einer brennenden Zigarette zwischen den Zeige und Mittelfingern jeder Hand. Durch die offene Tür des Zimmers, dessen Wände gelb gestrichen waren und in dem nur ein einziger Holzstuhl stand, hatte er mich in die Wohnung kommen hören, aber er drehte weder den Kopf noch reagierte er auf andere Weise. Er starrte die gelbe Wand an. Asche fiel von den zwei Zigaretten auf den graublauen Teppich.
    Ich hängte meine Lederjacke, die ich sommers wie winters trug, auf einen Bügel im Flur, zog die Schuhe aus, die Socken und ging hinüber ins Zimmer und blieb an der Tür stehen. Nach Alkohol roch es nicht, eher nach Seife oder Shampoo.
    Keiner von uns sagte ein Wort.
    Kurz bevor die Zigaretten heruntergebrannt waren, nahm Martin jeweils einen letzten Zug, wandte sich mit einer eckigen Bewegung von der Wand ab und drückte die Kippen in einem Aschenbecher auf dem Fensterbrett aus. Dann drehte er sich zu mir um.
    »Das war wahnsinnig laut«, sagte er mit angestrengter Miene, als formuliere er komplizierte Gedanken, denen er gleichzeitig nachhorchte. »Wie eine Explosion war das, hinter mir, an der Wand, laut, laut. Das ist gut so nah an der Wand, kühl.« Er sah zu der Stelle, an der er gerade gestanden hatte. »Ich hab geduscht. Dann noch gebadet und mir aus Versehen zweimal die Haare gewaschen. Bei meiner Frisur ist das gezielte Umweltverschmutzung.«
    Tatsächlich schien der spärliche, dunkelbraune Kranz auf seinem Kopf ungewöhnlich zu glänzen, und nicht von Schweiß.
    »Hilft aber nichts«, sagte Martin. »Ich seh den jungen Mann in der dünnen Jacke, er hat die geklauten Unterhosen in den Innentaschen versteckt, wo auch sonst? Und dann hat er die Pistole in der Hand, schießt gleich. Auf die Entfernung danebenschießen ist auch eine Kunst.«
    »Lass uns rausgehen«, sagte ich.
    »Gute Idee«, sagte er. Dann ließ er die Schultern hängen, trat zwei

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