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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ich.
    »Hast du sie gefragt?«, sagte Sonja. Ich schwieg.
    »Wir machen weiter«, rief Thon.
    »Vergiss die Zeugen«, sagte Sonja und rieb sich die Nase, deren Spitze ein wenig nach oben zeigte, was meiner zu Strenge mit sich selbst und zu Zurückhaltung gegenüber anderen neigenden Geliebten etwas sehr Übermütiges, fast Freches verlieh.
    Eine halbe Stunde später traf Olga Korbinian im Dezernat ein.
    Ein paarmal warf mir Erika Haberl, die Sekretärin der Vermisstenstelle, verständnislose Blicke zu, während sie die Vernehmung auf ihrem Laptop protokollierte.
    Thon hatte Olga Korbinian darüber belehrt, dass sie von ihm und mir als Zeugin vernommen werde und das Recht habe, die Aussage zu verweigern, falls sie dadurch einen Angehörigen oder sich selbst strafrechtlich belasten würde. Pflichtgemäß fragte er sie anschließend, ob sie die Belehrung verstanden habe, sie nickte, und er bestand darauf, dass sie ja sagte.
    »Am Nachmittag haben Sie nichts anderes getan als Wäsche gewaschen, diese im Keller aufgehängt und sich im Fernsehen Talkshows angesehen?«, sagte Volker Thon. In dem kleinen, schlecht gelüfteten Vernehmungszimmer im zweiten Stock hatte er sich gegenüber von Frau Korbinian gesetzt, ich stand am Fenster, schräg hinter ihm. Erika Haberl saß an der Schmalseite des rechteckigen Tisches. Nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten als Assistentin im Büro, auch als unaufgeregte, zurückhaltende, immer konzentrierte Schreibkraft bei Vernehmungen wurde sie von anderen Kommissariaten schwer umworben.
    »Ja«, sagte Olga Korbinian.
    In gewissen Abständen legte sie die rechte Hand auf die braune Lederhandtasche vor ihr auf dem Tisch. In ihrem beigen Kleid, die Haare mit einem Seitenscheitel ordentlich gekämmt, saß sie aufrecht auf dem Stuhl, sie machte auf mich einen ebenso verwirrten wie abweisenden Eindruck. Auch wenn ihr Tonfall im Verlauf der einstündigen Vernehmung kaum variierte, so bildete ich mir ein, an der Haltung ihres Kopfes und dem Zucken um ihren Mund eine wachsende Verachtung für das, was wir hier taten, zu erkennen.
    »Sie haben keine Anrufe erhalten?«, sagte Thon.
    »Nein.«
    »Und Sie selbst haben niemanden angerufen?«
    »Nein.«
    »Sie haben Magnus Horch angerufen«, sagte Thon.
    »Erst gegen Abend.«
    »Um wie viel Uhr?«
    Dann passierte etwas Komisches. Sofort sahen Erika Haberl und ich uns an, und hinter stoischen Blicken tauschten wir ein unsichtbares Grinsen. Auf die nächste Antwort konzentriert, hob Thon Daumen und Zeigefinger, um an seinem Seidentuch zu reiben, wie er es ungefähr dreißigmal am Tag tat. Doch wegen der Hitze trug er seit Tagen kein Tuch, sodass seine Fingerkuppen wie ein Insekt gegen seinen Hals stießen und er zusammenzuckte. Olga Korbinian runzelte die Stirn. »Gegen halb sechs« , sagte sie.
    »Bitte eine genaue Uhrzeit.«
    »Halb, dreiviertel sechs«, sagte Olga Korbinian.
    »Was hat Herr Horch zu Ihnen gesagt?«
    »Dass mein Mann und er sich mittags gegen halb zwei getrennt haben und er nicht weiß, wo Cölestin hingegangen ist.«
    Sie sagte kein überflüssiges Wort, und das meiste, was sie zu Protokoll gab, stand bereits in meinem Bericht. Trotzdem war es aus Thons Sicht verständlich und auch nach Meinung der Kollegen erforderlich, die Ehefrau zu einer offiziellen Zeugenvernehmung einzubestellen, ihr Verhalten war derart sonderbar, dass sie Erklärungen bieten musste, ob es ihr passte oder nicht.
    Doch ihre Aussagen forderten Thon eher heraus, als dass sie ihn von seinen Vermutungen abgebracht hätten.
    »Aber Sie wissen, wo Ihr Mann hingegangen ist«, sagte er.
    »Nein.«
    »Das glaub ich Ihnen nicht! Sie kennen Ihren Mann seit drei Jahrzehnten, Sie kennen ihn in und auswendig, Sie wissen genau, wo er sich den ganzen Tag über aufhält.
    Ihr Mann kann überhaupt nicht einfach so verschwinden! Das ist unmöglich! Egal, ob er eine Geliebte hat.
    Diese Geliebte jedenfalls weiß auch nicht, wo er steckt. Niemand weiß das anscheinend. Ich glaub Ihnen nicht , Frau Korbinian, und ich bitte Sie, mich nicht weiter anzulügen, meine Kollegen sind auf der Suche nach Ihrem Mann und sie lassen sich nicht gern an der Nase rumführen. Verstehen Sie mich? Es gibt alle möglichen Gründe fürs Weggehen, Geldsorgen, familiäre Probleme , Frust, Langeweile, viele Gründe, und wir kennen sie alle, wir haben täglich damit zu tun. Aber so einen Fall wie den Ihres Mannes hatten wir noch nicht, und das macht mich unruhig. Ich sag Ihnen auch, warum. Weil es einen Fall, den

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