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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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ich.
    Dann ging ich zu Hans Baumgartner, der gerade Teller mit frischem Obstkuchen in die Vitrine stellte.
    »Der hat mich fertig gemacht«, sagte der Kellner, der gleichzeitig den Ausschank besorgte. »Er hat behauptet, ich hätt ihn bestohlen, der hat nicht mehr damit aufgehört… Möchten Sie eine Sahne dazu?« Die Frau vor dem Tresen verneinte.
    »Unglaublich, der Typ! Der ist dauernd hier auf und ab geschlichen, hin und her, total irre irgendwie, auf und ab… Das Besteck ist da vorn.«
    Die Frau mit dem Tablett bedankte sich und ging zu einem der Tische, von denen die meisten inzwischen frei geworden waren.
    Ich sagte: »Was sollen Sie ihm denn gestohlen haben?«
    »Ein Spektiv!« Baumgartner polierte mit einem Geschirrtuch Gläser.
    »Was ist das?«, sagte ich.
    »Hab ich ihn auch gefragt. Er hats mir aber nicht gesagt. Er hat gesagt, das braucht er zum Schauen.«
    »Ein Fernglas?«, sagte ich.
    »Wahrscheinlich. Wir haben schon geschlossen gehabt, da kommt der auf einmal daher!«
    »Woher ist er gekommen?«, sagte ich.
    »Was?«
    »Kam er aus der Ausstellung?«
    »Woher sonst?«
    »Von draußen.«
    »Von draußen?… Tomatensaft ist heut aus, Traubensaft hab ich.«
    Die Frau an der Theke überlegte.
    »Von draußen garantiert nicht«, sagte Baumgartner.
    »Warum denn nicht?«
    »Dann nehm ich ein Mineralwasser«, sagte die Frau.
    »Weil um die Zeit kommt niemand mehr von draußen, um zehn ist hier Schluss.«
    »Sie haben also nicht gesehen, woher Cölestin Korbinian gekommen ist«, sagte ich.
    »Tut mir echt Leid«, sagte Baumgartner. »Macht eins achtzig, bitte.«
    »Ganz schön teuer«, sagte die Frau.
    »Wo ging er nach dem Streit hin?«, fragte ich, nachdem die Frau bezahlt hatte.
    »Hab ich nicht gesehen«, sagte Baumgartner. »Ich bin hinter in die Küche. Und als ich zurückgekommen bin, war er weg, Gott sei Dank!«
    Er trocknete sich die Hände am Geschirrtuch ab.
    Ich ging zurück zu Gerlinde Falter, die wieder an der Kasse saß.
    »Für wie hoch halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Korbinian am Freitag in der Ausstellung war?«
    Sie zögerte nur einen kurzen Moment. »Der war am Freitag nicht in der Aussstellung, das hätt ich gemerkt, ganz sicher.«
    »Dann hat sich Cölestin Korbinian in ein Phantom verwandelt«, sagte ich.
    »Der arme Mann«, sagte Gerlinde Falter voller Sanftmut.
    Ein etwa vierjähriges Mädchen räumte gewissenhaft die Packungen mit den Batterien auf den Boden, eine nach der anderen, es kniete vor dem Regal, und wenn seine Mutter es am Arm greifen und in die Höhe ziehen wollte, schrie es laut auf. Vor mir in der Schlange, die bis zur gläsernen Schiebetür und in den Vorraum, wo sich die gelben Schließfächer befanden, reichte, unterhielten sich eine Frau um die fünfzig und ein Mann um die sechzig über die Servicewüste Deutschland.
    »Das ist doch… so was… in Amerika, also…«, sagte er, zeigte nach vorn, wo drei Schalter geöffnet hatten, an denen Kunden bedient wurden, und patschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    »Wieso sind nicht die vier Schalter auf?«, sagte die Frau.
    »Das gibts nur bei der Post. Wo Sie hinkommen, stehen Sie an! Ganz gleich, das Postamt.«
    »Die machen doch… Beamte… Pension, wenn unsereiner…«, sagte der Mann.
    »Die Post ist inzwischen privatisiert«, sagte ein anderer Mann mit einem prall gefüllten braunen Kuvert in der Hand.
    »Kriegen doch ihre Bezüge… ist doch subventioniert… das ist doch…«, sagte der Mann und zeigte wieder zu den Schaltern.
    Inzwischen wurden in dieser Filiale außer Batterien auch Aktenordner, Stifte, Glückwunschkarten, Blocks, Packen mit 500 Blatt Papier, Kuverts in allen Größen und Büroartikel verkauft. Die Schalter wirkten provisorisch.
    Nichts war von den alten Postämtern mit den schweren Tischen geblieben, an denen Kugelschreiber festgebunden waren und auf denen kleine Schwämme in grünen Plastikbehältern zum Befeuchten der Briefmarken standen, in fensterlosen, nach Holz, Kartonagen und PVC riechenden Räumen. Und an den Wänden hingen bunte Briefmarken hinter Glas, und gut sichtbar waren irgendwo eine Uhr und ein Kalender angebracht.
    Im Postamt an der Fraunhoferstraße fehlte eine Uhr. Da ich nie eine bei mir trug, wollte ich gerade den Mann vor mir fragen, als ich an die Reihe kam.
    »Ja, Sie sind dran, der Schalter ist doch frei!«, sagte die Frau hinter mir.
    Ich erkundigte mich nach Magnus Horch, doch der hatte heute frei. Die junge dunkelhaarige Frau, die mich,

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