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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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trostlosen Sechzigerjahregebäude gegenüber dem Hauptbahnhof in die Innenstadt um. Zu diesem Zeitpunkt saß ich bereits in diesem Hotelzimmer .
    Die Vermissung der Lucia Simon konfrontierte uns von Anfang an mit einer Übermacht an Öffentlichkeit.
    »Engelchen« – so nannten die Medien die angehende Schauspielerin wegen ihrer blonden Locken und grazilen Erscheinung, ihres scheinbar schwebenden Gangs und der Sanftmut ihres Blicks – war in jüngster Zeit auf jeder Party erschienen, und die Fotos füllten anschließend die Klatschspalten. Sie spielte die Hauptrolle in einer neuen Fernsehserie und galt als hoch talentiert. Jahrelang assistierte sie ihrem Vater in dessen Show, half den prominenten Gästen bei den Aufgaben, die sie zu lösen hatten, fing an zu singen und zu steppen, nahm Schauspielunterricht und trat in Krimiserien auf. Ihre lässige, unaufdringliche Art, das Publikum zu umgarnen, und ihr soziales Engagement außerhalb des Fernsehens, vor allem im Bereich der Krebshilfe für Kinder und Jugendliche, verschafften ihr Respekt und Bewunderung. Nach und nach hatte sich die junge Frau aus dem Schatten ihres populären Vaters geschält. Die erwähnte Hauptrolle in einer als anspruchsvoll geltenden und nach Meinung vieler Kritiker über dem üblichen Durchschnitt liegenden Serie sollte den Beginn einer ernsthaften Karriere markieren. Wenige Stunden nachdem die Entführung bekannt geworden war, häuften sich auf dem Bavaria-Filmgelände Blumensträuße und Briefe des Mitgefühls, Fernsehteams aus dem gesamten deutschsprachigen Raum reisten nach München und belagerten nicht nur das Haus der Familie am Starnberger See, sondern auch das Dezernat 11 in der Bayerstraße .
    Obwohl die meisten Kollegen aus der Soko »Lucia« Erfahrung mit komplizierten Vermissungen und im Umgang mit der Presse hatten, versuchte jeder von ihnen nach spätestens drei Tagen, den Kontakt zu Journalisten strikt zu vermeiden. An den täglichen Pressekonferenzen, die Volker Thon und Dezernatsleiter Karl Funkel wegen des riesigen Andrangs in das gegenüberliegende »Intercity Hotel« verlegt hatten, nahmen außer den beiden nur Paul Weber, der älteste Kommissar der Vermisstenstelle, Sonja Feyerabend, Rolf Stern, der Chef der Mordkommission, und ich teil. Und mit jedem Tag wurden die Fragen drängender, aggressiver, lauter.
    »Wie ist das zu verstehen, dass auf dem Erpresserbrief keine Spuren zu finden sind? Auf welcher Schreibmaschine oder welchem Computer wurde er denn geschrieben?«
    »Das wissen wir noch nicht«, sagte Volker Thon. Bei ihm kam – abgesehen von dem üblichen Grunddruck bei einem derartigen Fall – erschwerend hinzu, dass er dazu neigte, jedem Medienvertreter die übelsten und hinterhältigsten Absichten zu unterstellen. Noch mehr als sonst musste er sich zusammenreißen, nur schwer gelang es ihm, die Antwort auf eine Frage, die ihm missfiel, zu unterdrücken und das Wort an Funkel weiterzugeben .
    »Wann findet denn nun die Geldübergabe statt?«
    »Haben Sie immer noch keinen Zeugen, der irgendwas gesehen hat?«
    »Seit vier Tagen erzählen Sie uns dasselbe!«
    »Glauben Sie, dass die junge Frau noch lebt?«
    »Ja«, sagte Thon. Wie immer war er, im Gegensatz zu uns anderen, auffallend modisch gekleidet. Er trug ein dunkles Sakko, ein dunkelblaues Seidenhemd mit Halstuch, eine Leinenhose und sauber geputzte Lederschuhe. Wenn er nachdachte oder etwas Wichtiges mitzuteilen hatte, rieb er sich die Hände, als habe er sie soeben eingecremt .
    In regelmäßigen Abständen kratzte er sich mit dem Zeigefinger am Hals, eine Geste, die Sonja überhaupt nicht leiden konnte. Sie hielt ihn für selbstgefällig und karrieregeil, ich dagegen sah in ihm gelegentlich eine Art Gegenentwurf zu meinem eigenen Leben. Er verbreitete Optimismus, er war fähig, eine Gruppe zu leiten, und nannte seine Abteilung eine »Mannschaft«, in der Einzelgänger »wie beim Fußball« nur auf bestimmten Positionen und dosiert eingesetzt von Vorteil für alle seien. Im Gegensatz zu den anderen Kommissaren des Dezernats hatte er eine intakte Familie, und ich wusste, wenn er sich sonntags an den gedeckten Frühstückstisch setzte, umringt vom Chaos seiner Kinder Claudine und Sebastian, während seine Frau ihm von ihren Plänen für den Rest des Tages erzählte, empfand er so etwas wie das vollkommene Glück. Und gelegentlich beneidete ich ihn darum.
    »Woher wollen Sie wissen, dass die junge Frau noch lebt? Haben die Entführer Ihnen Hinweise gegeben,

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