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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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schenraubs würde er für mindestens zehn Jahre ins Gefängnis müssen. Mord war ihm nicht nachzuweisen, auch wenn wir an die Wahrscheinlichkeit, dass die entführte Frau noch lebte, nur aus Not glaubten. Wir glaubten einfach, so wie andere Menschen an Gott oder an das Glück in der Lotterie glauben .
    Auch ich glaubte daran.
     
    Ende September hielt ich mich jeden Tag in der Nähe des Hauses auf, in dem Talhoff zuletzt gewohnt hatte. Es war ein schäbiges Mehrfamilienhaus, umgeben von ähnlichen Bauten, in deren Hinterhöfen nie Kinder spielten und deren Fassaden abbröckelten. In den Fenstern standen vereinzelt Blumen, die die Traurigkeit noch verstärkten. Die Wohnung Talhoffs im ersten Stock war immer noch versiegelt. Was die Nachbarn über den langjährigen Mieter zu berichten hatten, taugte für unsere Fahndung nur wenig. Einige erinnerten sich an Orte oder Seen, wo er angeblich regelmäßig mit seinem Dobermann unterwegs gewesen war. Mit Hilfe von Wärmebildkameras und Spürhunden durchkämmten die Kollegen daraufhin das jeweilige Gelände und fanden nichts außer Skeletten von Tieren.
    Aber mich zog das Haus an, die Umgebung, die mehrspurige Straße, die Trostlosigkeit. In Wahrheit hielt ich es nicht länger im Büro aus. Und zu Hause. Und auf der Brücke. Und in den Räumen der Haftanstalt .
    Ich fuhr mit dem Linienbus zur Donnersberger Brücke und ging von dort in Richtung Westen. Ich streunte herum. Wenn es anfing zu regnen, stellte ich mich in einem Eingang oder einer Einfahrt unter oder trank in der nächsten Bäckerei einen Kaffee. Ich fror nicht. Meine schwarze Hose aus Ziegenleder, mein weißes Leinenhemd und meine schwarze Lederjacke wärmten mich. Ich wartete.
    Als ich das Mädchen zum ersten Mal sah, rannte sie im Regen durch die Einfahrt und ließ sich gegen eine der Türen auf der Rückseite des Gebäudes fallen. Sekunden später verschwand sie im Haus. Ihr leuchtender gelber Schulranzen hüpfte in meinen Träumen vor mir her, in den verwackelten, unscharfen Nachtszenarien, die mich verfolgten.
    Beim zweiten Mal stellte ich mich ihr in den Weg. Ausnahmsweise regnete es nicht, und sie hatte es nicht eilig .
    Ich zeigte ihr meinen blauen Ausweis.
    »Polizist«, sagte sie .
    »Ich heiße Tabor Süden.«
    »Ich Lena Murau.« Sie hatte eine rosa Schleife im blonden Haar und einen blauen Wollmantel an. Sie war etwa sieben Jahre alt.
    »Kennst du den Herrn Talhoff, Lena?«
    »Schon«, sagte sie verunsichert und blickte zum Haus, in dem sie vermutlich lebte. Plötzlich musste ich an ein Foto denken, das wir mit einem Packen anderer in Talhoffs Wohnung gefunden hatten .
    »Kennst du auch die Lucia Simon?«
    »Die entführt worden ist?«
    Ich zog ein Foto der jungen Frau aus der Tasche. Jedes Mitglied der Soko trug eines bei sich .
    »Die Lucia hab ich vor einem halben Jahr am Starnberger See getroffen, meine Eltern waren da beim Essen, und da ist der Ronny am Nebentisch gesessen, und meine Mama war ganz aufgeregt und hat sich nicht getraut, ihn zu fragen, ob er ihr ein Autogramm gibt.«
    »Und du hast dich derweil mit Lucia angefreundet«, sagte ich.
    »Sie hat mit mir die Schwäne gefüttert. Und da hat uns ein Mann fotografiert, glaub ich, ein Freund von dem Ronny. Und dann sind wir wieder gefahren, meine Eltern und ich.«
    »Hat deine Mama das Autogramm von Ronny bekommen?«
    »Glaub schon.«
    »Hast du die Lucia danach wiedergetroffen?«
    »Nein, nie mehr. Ich hab ihr gewunken zum Abschied, und sie hat auch gewunken, ganz lang, bis ich sie nicht mehr gesehen hab, ganz lang.«
    »Wo seid ihr euch am Starnberger See begegnet?«, sagte ich. »In welchem Ort.«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »Wart ihr nicht wieder dort, deine Eltern und du?«
    »Nein, mein Vater ist weggegangen, und meine Mama hat kein Geld mehr für den Starnberger See.«
    »Wo ist dein Vater hingegangen, Lena?«
    »Zu einer anderen Frau«, sagte sie und kniff die Augen zusammen, während sie zum Haus hinüberschaute. »Ich muss jetzt zu meiner Mama, die ist krank, die hustet den ganzen Tag und die ganze Nacht. Aber hier ist es schön, wir sind erst gleich hierher gezogen, ganz gleich erst.«
    »Erst vor kurzem«, sagte ich.
    »Hmm.« Sie nickte.
    »Ich muss vielleicht mit deiner Mama sprechen«, sagte ich. »Wegen des Fotos mit dir und Lucia.«
    »Meine Mama ist krank, die kann nicht sprechen.«
    Ich überredete das Mädchen, mich mitzunehmen, aber Frau Murau lag eingehüllt in Decken, schwitzend und angetrunken im Bett und wollte nichts

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